Den feinen Linien und dem geometrischen ADHS-Chaos sind die verhipstertsten Bilder hinterlegt, die die Klassikbranche bisher auf ein Cover gezaubert hat. Marina Baranova hat sich von Felix Broede fotografieren lassen. Nur wenige können bildlich so offen legen, um was es auf der Platte geht: verschmitzte Szenen von Igor Levit, die Durchgeknalltheit von Teodor Currentzis, die Schüchternheit von Christian Gerhaher. Broede scheint die Künstler nicht in ihrem Marketingmäntelchen ablichten zu wollen, sondern erspürt, wer sie sind und was sie spielen. Das ist nicht immer gut für die Künstler. Auch bei Baranovas neuer Platte ist das Cover dem Inhalt deckungsgleich: hip, frech, aufgeplustert, gezwungen verrückt – aber mit wenig Nachhall.
Marina Baranova wurde auf dem Cover hinter pink-weiße Gitterstäbe verknackt und damit auch gefangen gesetzt in ihrem Bestreben, das Publikum zu erweitern. Die Fetzen ihres gefiederter Overalls ragen bis unters Kinn, die pechschwarzen kleinen Locken sind das einzige, was sich vom beigefarbenen Hintergrund abhebt. Zentrum des Covers ist Baranovas Blick. Ihre Lippen sind weiß bemalt, die Augen stechen hervor. Der kullerrunde Blick: ein stummer Hilfeschrei, den Baranova aus ihrem Pop-Gefängnis dem Betrachter zuzurufen scheint. Umso länger man versucht, das Geheimnis, die tiefere Botschaft dieser Abbildung zu entschlüsseln, umso weniger gelingt es. Sie wirkt wie die rabattierte Version einer Stilikone à la Björk im Sommerschlussverkauf.
All das soll vermutlich „die Jugend“ hinter dem Ofen hervorlocken. Zu der sich im Übrigen auch der Autor zählen würde, der die Bonbonverpackung der Platte aber lieber der Ofenheizung anvertrauen würde. Ich sehe die lieben Leser spätestens hier die Stirn runzeln, wann endlich ein Wort über die Musik verloren wird, schließlich ist die Verpackung ja nur Beiwerk. Leider nicht. Denn die Spekulationen über das Cover sind immer noch anregender als der Inhalt der CD: Aufgebratenes, Gesampeltes, Remixtes und Gelooptes.
Der Titel „Hypersuites“ erinnert an „Hyper, Hyper“ von Scooter. Was bei Baranova „gehypted“, (also „oberhalb“, „drüber“), sein soll, bleibt schleierhaft. Johann Sebastian Bach und die übrige Truppe der hier ins Visier genommenen Barockkomponisten werden zur Rechtfertigung herbeizitiert, denn sie hätten ja selbst variiert und improvisiert. Das Argument ist nur Mittel zum Zweck, scheinbar kommt es nicht auf die Qualität der Variationen an, sondern auf die Abwandlung per se. Diese Musik ist so harmlos, so ergeben und tut so wenig weh, dass sie dann doch weh tut. Für alle Inhaber von loungeartig aufgehübschten Etablissements gibt es jetzt neue Musik, die die Besucher betäuben wird. In Cafés hingegen sollte man sich ja auch nicht zum Musikhören treffen, sondern zum Reden. Möglichst laut.