Von Jesper Klein, 10.08.2017

Männer, die auf Klaviere starren

Mit jeder neuen CD eines Pianisten stellt sich dieselbe Frage: Was tun mit dem Cover? Ein Mann und sein Klavier, lautet eine einfache Formel. Dass es auch anders geht, zeigt Dario Candela mit Domenico Cimarosas Klaviersonaten. Die niusic-Coverkritik.

Wer Dario Candelas neue Einspielung von Domenico Cimarosas Klaviersonaten in den Händen hält, fragt sich sofort: Wo ist dieser Mann? Und was macht er dort? Zumindest die erste Frage kann nach kurzer Recherche beantwortet werden; Candela befindet sich in der U-Bahn-Station Toledo in Neapel. Das wirft weitere Fragen auf: Wieso ist dort, wo man instinktiv die Gleise vermutet, eine Bank? Weshalb muss Candela dort seine Krawatte richten? Und warum überhaupt eine U-Bahn-Station? Zumindest hebt sich dieses CD-Cover wohltuend von den herkömmlichen Pianisten-Platten-Covern ab, diese folgen in der Regel einem einfachen Strickmuster.

Am Beginn steht wie bei jeder CD die Frage nach dem Protagonisten. Auf der CD-Hülle kann es nur einen geben, entweder den Interpreten oder den Komponisten. Da der Komponist meist tot ist und die bereits tausendmal gesehenen Komponistenporträts niemanden mehr überraschen, fällt diese erste Entscheidung auf dem Weg zum Cover verständlicherweise oft zugunsten des Interpreten aus.
Die nächste Frage: Gibt es irgendwelche Requisiten? Häufig steht ein edler Flügel, bevorzugt in schwarzem Klavierlack, in der Nähe. Den Musiker in seiner natürlichen Umgebung ablichten, das geht immer und vermittelt Authentizität. Und so sieht man sie überall: Männer, die auf Klaviere starren. Oder sich an sie lehnen. Oder sogar auf ihnen spielen, während sie fotografiert werden. Wenn gerade kein Klavier zur Verfügung steht, wird es schwieriger. Ohne natürliche Umgebung kann der Künstler überall abgelichtet werden. Interessant wird es, wenn der Ort bei näherer Betrachtung einen Bezug zum Gehörten herstellt.

Oder genau das Gegenteil wie bei Candela und Cimarosa: Manierierte Frühklassik in einer U-Bahn-Station? Schwer vorstellbar. Rein zufällig scheint der Ort ebenso nicht gewählt, denn auch für den ersten Teil des Cimarosa-Projekts ließ Candela sich dort fotografieren.
Das bietet Raum für weitere Deutungen: Liegen die kunstvoll gestalteten U-Bahn-Stationen Neapels womöglich noch ebenso im Verborgenen wie Cimarosas Sonaten?
Leider hinkt der Vergleich: Diese U-Bahn-Station ist bereits eine Touristenattraktion, wohingegen Cimarosas Sonaten im Konzertsaal kaum Beachtung geschenkt wird. Denn der Nachfolger von Antonio Salieri als Wiener Hofkapellmeister ist vor allem für seine Bühnenwerke bekannt. Die Sonaten, weniger virtuos als vergleichbare Stücke von Domenico Scarlatti, sind überwiegend schlichte Miniaturen, meist fröhlich, eingängig, manchmal fast ein wenig naiv anmutend.



Den Interpreten stellt das vor keine leichte Aufgabe, denn der Grat zwischen zu schlicht, ja banal und überinterpretiert ist ein schmaler. Candela hat eine Idee für diese Musik; er nimmt sich künstlerische Freiheiten bei der Interpretation, verziert reichlich. Trotzdem spielt er die Sonaten aufgeräumt, mit angenehm unkomplizierten Trillern und spitzen Staccati 182 . Eine willkommene Abwechslung – sowohl in der Welt der Pianistenplattencover als auch für die nächste Fahrt mit der U-Bahn.

  1. Abgehakt und ungebunden spielen – Staccato klingt einfacher, als es ist. Denn zwischen leicht und trocken oder fest und dramatisch gibt es innerhalb dieser Spielweise doch tausendfache Abstufungen. Oft ist hier der Interpretationsgeist des Ausführenden gefragt. (MH)




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Domenico Cimarosa

Cimarosa: Complete Piano Sonatas Vol. 2

Dario Candela

Dynamic

© Cover: Stefania Ciccarella
© Catia D'Amore/flickr.com/CC BY 2.0


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