Von Hannah Schmidt, 05.12.2016

Zack, tot

Was macht man als Regisseur mit einer Oper, die man weder ironisch brechen noch provokativ aufbereiten kann — weil sie durch ihre Musik schon ohne Inszenierung große Bissigkeit und Tragik erreicht? Harry Kupfer startet einen Versuch — und bringt die „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitri Schostakowitsch auf die Bühne der Bayerischen Staatsoper.

In der ganzen Oper gibt es kaum einen Moment, der irgendwie ehrlich wäre. Jede Gefühlsregung, jede Hoffnung, jeden Ausbruch von Gewalt und Wahnsinn peitscht und treibt Schostakowitsch mit stampfendem Um-Ta, hinkenden Wiener Walzern, „falschen Noten“, grotesk verzerrten Harmonien oder bizarren Zirkusparaden im irren Galopp unter die Zeltdecke der Verlogenheit.

Die Handlung

Was macht Harry Kupfer aus diesem so selten inszenierten Stück Musiktheater? Kein Regisseur, meint man, könnte über dieses Werk eine eigene Geschichte erzählen: Die Wertungen, ironischen Brechungen, die Moral und die Deutung scheinen alle auf geniale Weise bereits in der Musik platziert – inszenierte Brechungen von Text, Musik und Bühnengeschehen wären optisches Mickey-Mousing. Und eine Ironie über die Ironie wäre wie doppelte Verneinung am Ende eine Verharmlosung dessen, was Schostakowitsch so messerscharf kritisiert: das Kaufmannstum der Zarenzeit, die Polizei, die Kirche, die Grobschlächtigkeit und Dumpfheit der Männer und der gesellschaftliche Umgang mit Frauen. Warum es dann noch inszenieren?

Schäbige Industrieruine

Harry Kupfer gibt die Antwort. Er belässt das Geschehen in seiner Zeit: dem Ende des 19. Jahrhunderts. Die Tragödie spielt bei ihm vor der eindrucksvollen Kulisse einer schäbigen, heruntergekommenen Industrieruine bei Nacht oder zumindest bei Dämmerlicht im Schatten – ein Ort, an dem in Ruhrgebiets-Tatort-Folgen Leichenteile, ausgebrannte Autos oder verscharrte Waffen gefunden würden. Viel passiert nicht auf der Bühne. Die ersten beiden Akte zentrieren sich um Katerinas Zimmer, ein Guckkasten aus ranzigem, durchlöchertem Holz, die Bilder im 3. und 4. Akt sind ähnlich skeletthaft-karg, industriell – der konzentrierten Handlung gibt er eine konzentrierte Kulisse, der vermeintlich vollkommenen Vorlage eine maßgeschneiderte Umgebung.

Trotz der Wucht, trotz der Dichte der Instrumentalisierung ist die Musik unter Kirill Petrenko immer durchsichtig und voll schillernder Farben.

Wäre Kupfers Personenführung nicht so detailliert und durchdacht, an manchen Stellen grenzte die Inszenierung an Kostümoper. Das jedoch ist ungeheuer wirkungsvoll: Er überlässt aufmerksam jeden aufkommenden hässlichen Beigeschmack, jede Desillusionierung immer zuerst der Musik, bevor die Handlung auf der Bühne der so eingefärbten Nuance folgt, und zwar ihr bis ins Detail entsprechend. Boris stirbt so in Schüben, schreckt synchron zur Musik noch einmal für einen Satz auf, den er noch sagen will, und sinkt wieder zurück auf sein Sterbekissen — die so detailliert an der Musik orientierte Inszenierung dieses Moments ist guter Slapstick. Trotz der Wucht, trotz der Dichte der Instrumentalisierung ist die Musik unter Kirill Petrenko immer durchsichtig und voll schillernder Farben.



Obwohl die vielen Einzelmusiken schnell wie zusammengetackerte Fetzen wirken können, schafft es Petrenko in München, die Komposition erstaunlich zusammenhängend klingen zu lassen. Er ist pragmatisch, straff und flott, macht keine großen Fermaten und Kunstpausen, die sich durchaus anbieten würden. So passiert Katerinas erweiterter Selbstmord gleichsam ziemlich schnell und unaufgeregt, zack, tot – und lässt den Hörer umso schockierter und verstörter zurück. Da passen er, Schostakowitsch und Kupfer gut zusammen.

Bitterböse karikiert: Die Polizei des Zarenreichs.

Schlagfertige Ergänzung

Manche von Kupfers Ideen sind originell und witzig und ergänzen schlagfertig den Hohn aus dem Orchester – so beispielsweise die Polizisten, die sich zunächst nur auf rollenden Bürostühlen über die Bühne schieben lassen, während sie musikalisch karikiert über ihre viele Mühe und ihr geringes Gehalt klagen.

Andererseits bleiben manche der krassesten Szenen etwas zahnlos, beispielsweise die Massenvergewaltigung aus dem 1. Akt, das Auspeitschen Sergejs durch Boris nach seiner Nacht mit Katerina, oder die berühmte Koitus-Szene zwischen Katerina und Sergej: Es wäre vermutlich schwieriger, sich nicht der äußerst plakativen Musik entsprechend zu bewegen, und trotzdem machten die Darsteller genau das Gegenteil. Der inszenierte Akt wirkte so eher etwas unbeholfen denn lustvoll-leidenschaftlich-wütend – diese Opernbrechung gerät hier zu einem Moment von Schüchternheit.

Ein möglichst großer Raum, in dem die Oper wirken kann

In seiner Inszenierung bietet Kupfer der Oper einen optimalen Raum, in dem sie wirken kann. Er bringt nicht seine eigene Weltsicht und Wahrheit auf die Bühne, sondern bemüht sich, dem Nachhall der Musik beim Hörer, dem Echo ihrer Anklage das bestmögliche Umfeld zu schaffen. Das gelingt ihm — weil er nicht versucht, eine andere Geschichte zu erzählen als Schostakowitsch, und so jede Nuance der Musik in treffende Bilder kleidet. Wahrscheinlich ist das auch das einzige, was vor dem Hintergrund der spärlichen Anzahl an Inszenierungen und der Vollkommenheit dieser Oper Sinn hat: ihr Platz zu machen. Und zwar bildgewaltig.

Weitere Termine:

Weitere Aufführungstermine sind Donnerstag (8.12.) und Sonntag (11.12.), danach gibt es die Inszenierung erst wieder im Juli (ab 22.7.) zu sehen.
Weitere Infos zur Inszenierung unter www.staatsoper.de
und im Staatsoper-Blog unter #AkteMzensk.

© Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl


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