Es ist ein Kreuz mit dem Multitasking. Vor kurzem erst hat der WDR seiner Kulturwelle WDR3 im Kölner Funkhaus eine nagelneue Studiolandschaft spendiert: Alles ist geschwungen und transparent und apfelgrün. Und mit First Class-Blick auf die Domplatte. Angehörige anderer Stockwerke drücken sich neugierig und ein bisschen neidisch durch die Arbeitslandschaft a la Silicon Valley, sogar mit einem kleinen Forum für live eingespielte Kammermusikbeiträge. Und zum erklärten Ziel gehörte es auch, durch bessere Technik Personal zu sparen. Das Redaktionspult in der Technik vis-a-vis gibt es zwar noch, doch wie man hört, ist es an der Tagesordnung, dass die (mehrheitlich freien) Moderatoren ihre Live-Sendungen mit Musik und Studiogästen inzwischen selbst fahren. Das ist beim besten Willen ein bißchen viel verlangt, und so gerät manchmal offenbar die falsche Hand an den Gashebel.
Der verpeilte Charme eines Studentenradios
Markant hämmerndes Blech, wirbelnde Flöten, ein Schlagstock wie ein Uhrwerk: John Adams‘ „Short Ride In A Fast Machine“ ist ein Klassiker der Moderne, die Feier des Geschwindigkeitsrauschs. Doch plötzlich vernimmt man deutlich den Moderator in der Musik, der – „Achtung jetzt!“ – seine Studiogäste darauf hinweist, dass sie gleich dran sind. Er bemerkt den Fehler noch und baut ihn lachend in die Abmoderation ein, auf das lichtschnelle Vehikel aus Tönen anspielend. Das ist ein eher sympathisches Beispiel von vielen dafür, wie sich der WDR im vormittäglichen Höreindruck inzwischen dem verpeilten Charme eines Studentenradios annähert. Nur dass er deutlich mehr Zaster vom Steuerzahler dafür bekommt als die engagierten Hochschüler vom Kölncampus Radio, seit einiger Zeit ja per Zwangsabgabe. Doch das gelangt offenbar nicht bis an jenes Ende der Produktionskette, wo der Sender für den Hörer ja eigentlich erst Gestalt annimmt. Da klingen Gesprächspartner über lange Strecken so hallig entfernt, als hätte man sie in die Zimmerecke verbannt, bereitet sich deutlich vor Schluss eines Konzertsatzes die Moderatorin lautstark raschelnd auf die nächste Runde vor. Wenn sie oder er nicht gleich in der Generalpause vor den Schlussakkorden loslegt. Ganze Wortwechsel über Wochenendaktivitäten kreuzen sich mit Klavierquintetten – und irgendwann bleibt es überhaupt 20 Sekunden lang still, bis jemandem auffällt, dass man offenbar den Musikkanal nicht hochgezogen hat.
Als der niusic-Methusalem bin ich dieses Jahr schon unfassbare 20 Jahre WDR3-Hörer (ja, liebe Hörerforschungsabteilung, das war ich all die Zeit!). Angefangen hat das mit einer Studentenwohnung in Köln, klassisch mit Matratze am Boden, und einem Radiowecker, der mangels Kabel nur einen einzigen Kultursender halbwegs rauschfrei empfing. Und ich bin diesem Sender – abseits beruflich bedingter Seitensprünge – als Hörer privat treu geblieben, dank Streaming bis in die Alpen und den Osten Deutschlands. Es hat sich offen gestanden eine emotionale Bindung an meinen Sender entwickelt. Dadurch liegt meiner Einschätzung aber auch eine gewisse Erfahrung zugrunde, wenn ich sage: So viel Verschalte war nie.
Natürlich ist das ja auch kein Weltuntergang. Machen wir uns einfach locker, sowas kann jedem mal passieren und ist doch eigentlich viel lebendiger so, oder nicht? Radio zum Anfassen. Wie zum Beispiel auch in den Hörertelefonaten der „Lieblingsstücke“ am Sonntag, das ist wie eine Wundertüte – man weiß nie, was man bekommt. Die 2011 preisgekrönte Beitragsserie bestand freilich im Gegensatz zur nun dauerhaften Sendung aus deutlich aufwändigeren, vorproduzierten Interviews. So wurde auf geniale Weise durch biografische Anekdoten ein sehr persönlicher Bezug zu klassischer Musik geteilt. Jetzt aber muss alles live gehen – eben billiger. Da bemühen sich Senioren am Telefon darum, in der Kürze der Zeit nicht den Faden zu verliegen, während sie Stationen ihrer Musikbiografie aufzählen. Und sie zugleich sanft, aber bestimmt von engelsgeduldigen Moderatoren auf den vorher abgesprochenen Punkt gestoßen werden, dem sie sich mäandernd entziehen. Das finde ich mehrheitlich öde und wenig inspirierend.
Angesichts der zur Verfügung stehenden Gebührenüberschüsse kann ich nicht glauben, dass sich der WDR, die zweitgrößte Landesrundfunkanstalt nach der BBC, schlichtweg die Regieassistenten nicht leisten kann, die dazu nötig wären, um Moderatoren aus ihrer Multitasking-Falle zwischen Sendungsablauf, Gesprächsinhalt und Schaltpult zu erlösen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Verwaltung bis hin zu Hörfunkdirektorin Valerie Weber diese Zunahme an Pannen nicht zu Ohren kommt. Vielleicht werden diese ignoriert? Oder schlimmer: billigend in Kauf genommen? Vielleicht, weil ein anderes Ziel wichtiger erscheint, etwa ein im Geschäftsbericht ausgewiesener Rückgang von Personalkosten in der Produktion, der sich bei einem solchen Bürokratiemonster wie dem WDR umlabeln lässt zum Managementerfolg der gelungenen Modernisierung? Ich weiß es nicht. Aber Tag für Tag führen mir bemitleidenswerte Moderatoren vor Ohren, wie hier die Wollmilchsau beim Eierlegen scheitert.
Ein Gutes hat die Sache aber: Man wartet mit fast diebischer Freude auf das nächste offene Mikrofon. Und die zufällig eingestreuten Wochendgespräche und Ausrutscher machen selbst das gemütliche Kulturradio wieder so abwechslungsreich und spannend wie lange nicht mehr.