Von Hannah Schmidt, 29.10.2020

Nicht schon wieder

Die Bundesregierung hat einen erneuten Lockdown beschlossen. Besonders davon betroffen ist, neben der Gastronomie, die Kultur. Dabei ist sie nicht Teil des Problems. Die niusic-Kolumne.

„Kaum eine Branche hat seit Beginn der Pandemie härter dafür gearbeitet, ihren Kund:innen bzw. Zuschauer:innen wieder ein sicheres Erlebnis bieten zu können, als die Kulturbranche.“ Mit diesen Worten beginnt ein offener Brief des Bündnisses #AlarmstufeRot an die Bundesregierung, den Dutzende bekannter Künstler:innen, Musiker:innen und Kabarettist:innen unterzeichnet haben. Der Kulturbetrieb, so schreiben die Verfasser:innen, war „ein konstruktiver Teil der Lösung und nicht des Problems“.

Nun steht der Entschluss aber fest: Theater und Konzerthäuser werden ab Montag bis vorerst Ende des Monats geschlossen. Nach wie vor sind aber, wie unter anderem Die Deutsche Bühne schreibt, keine Ansteckungen in Zuschauersälen bekannt. Dass die Infektionszahlen derzeit wieder so stark steigen konnten, liegt dagegen zum großen Teil an sogenannten Superspreading-Events, darunter eine Karnevalsfeier in Gangelt, eine Hochzeitsfeier in Hamm, der Ausbruch des Virus in einer Fleischfabrik. Personen, die das Virus davon ausgehend weitergetragen haben, waren Reisende. Soviel dazu.

Sonntagsessen, Geburtstagsfeiern, Kaffeeklatsch

Forscher:innen aus den USA beschreiben zudem in dem kürzlich im Science Mag veröffentlichten Paper „The engines of SARS-CoV-2 spread“, dass die Mehrheit der Ansteckungen, nämlich 57%, innerhalb von Haushalten passieren und zwischen Personen, die sich im Alltag sehr nahe stehen. Was diese Haushalte miteinander verbindet, sind die oben genannten sozialen Situationen: das Sonntagsessen, Geburtstagsfeiern, Kaffeeklatsch. Je nach dem, wie gut bei diesen Zusammenkünften auf Abstände, Lüften und Hygiene geachtet wird, verbreitet sich das Virus schneller oder eben nicht. Allein kontrollieren kann man es im privaten Raum natürlich nicht (was auch gut so ist).

Ein langer Exkurs, mit einem Ziel: Aus privaten Kontexten sind vielfache Ansteckungen bekannt. Aus Kulturkontexten nicht oder nur sehr wenige. Trotzdem werden diese Orte nun geschlossen – und zahlreiche Künstler:innen stehen erneut, wie vor acht Monaten, vor einem existenzbedrohenden Abgrund. Die Schließung kommt, wie #AlarmstufeRot schreibt, einem Berufsverbot gleich. Vor allem macht Theaterleute, Musiker:innen, Kulturschaffende dabei wütend, dass die Arbeit, die sie monatelang in die Erstellung von Hygienekonzepten gesteckt haben, schlichtweg ignoriert wird. Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier vor allem Entscheidungen getroffen wurden, um nach außen hin zu suggerieren, dass man wenigstens irgendetwas Sichtbares unternehme statt in eine Schockstarre zu verfallen – während außer Acht gelassen wird, dass das Problem in den vergangenen Monaten nicht die öffentlichen, sondern die privaten Räume waren.

Dass Maßnahmen getroffen werden müssen, steht außer Frage

Durch die Schließung der öffentlichen Räume wird das soziale Geschehen geradezu in den privaten Raum verdrängt – herzlichen Glückwunsch. Dass darunter zahlreiche Menschen leiden, ist in den vergangenen Monaten ebenfalls lang und breit diskutiert worden: Menschen mit psychischen Erkrankungen, ältere Personen, die möglicherweise ohnehin isoliert leben, oder Menschen, die in toxischen Beziehungen leben oder mit einer gewalttätigen zweiten Person die Wohnung teilen.
Dass Maßnahmen getroffen werden müssen, um das Infektionsgeschehen einzudämmen, steht außer Frage. Doch jetzt, zu Beginn einer möglicherweise in ihrer Stärke die erste noch übertreffenden zweiten Welle, die gleichen Fehler zu machen wie noch vor acht Monaten, offensichtlich aus den zahlreichen Debatten um Teilhabe, Kultur, soziale Dynamiken nichts gelernt zu haben, das muss in Frage gestellt werden.

Ein weiterer Punkt ist dabei zudem auch noch absurd, ausschließend, leitkulturtümelnd, wie Max Czollek es in einem Tweet formulierte. Die Motivation hinter diesem Lockdown, nämlich bis Weihnachten wieder alles im Griff zu haben, „ist […] christliche Dominanz.“ Und in einem weiteren Tweet: „So much of christliche Leitkultur und der Frage, für welche gesellschaftlichen Gruppen und Interessen der Laden gerade ein zweites Mal runtergefahren wird.“ Viele hatten gehofft, dass Politik und Entscheidungsträger:innen aus dem ersten Lockdown und vor allem aus den gesellschaftlichen Debatten die währenddessen und danach geführt wurden, etwas gelernt haben. Anscheinend fangen wir in diesem Quartal wieder bei Null an.

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