Von Anna Vogt, 01.01.2017

Trial and Error

Musik und Sprache sind wie Katzen und Fische: Sie verstehen sich einfach nicht. Missverständnisse, Klischees und Plattitüden sind da vorprogrammiert. Doch ohne Kommunikation wird Musik zur einsamen Kunst.

Dieser Text befindet sich in einem Teufelskreis. Denn ich schreibe über etwas, über das ich zugleich behaupte, dass es nicht zu beschreiben ist: nämlich Musik durch Sprache zu „vermitteln“. Vielleicht könnte man Klänge nach Waldorfschulen-Art vertanzen oder farbenreich expressiv malen – oder einfach darüber schweigen. Aber mein Metier ist die Sprache und meine Leidenschaft die Musik. Und so begleitet mich dieses Dilemma, Musik und Sprache miteinander zu verkoppeln, bei jeder Konzertkritik, jedem Interview, jeder Reportage. Es geht um nichts weniger als um die Legitimation von uns Musik-Journalisten und um unser Arbeitsmaterial: Worte, Sätze, Metaphern.

Die benutzen wir mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre jedem genau klar, was unter all den kalten Begriffen, den abgenutzten und oft blumigen Wortkopplungen zu verstehen ist: „Liebe“ zum Beispiel, „Schönheit“ oder auch „Tod“, um ganz generell anzufangen. Aber auch sowas wie „Musikalischer Ausdruck“ oder „romantischer Tonfall“. Was soll denn das konkret bedeuten?! Gibt es überhaupt – jenseits vielleicht der rein technisch-analytischen Beschreibungssprache einer Komposition – „richtige“, objektiv gültige Begriffe dafür, was mit uns passiert, wenn wir eine Schostakowitsch-Sinfonie hören oder eine Mozart-Arie? Schon Worte wie „hell“ oder „dunkel“, „fröhlich“ oder „traurig“ pressen wir der Musik als nur schlecht sitzende Metaphern auf – wie Etiketten aufs Marmeladenglas. Weil wir uns nicht anders zu helfen wissen. Weil Sprache nun mal in einem anderen Modus „bedeutsam“ ist als Musik und man die beiden Systeme nur mit einiger Gewalt und viel Konvention zusammenzwingen kann. Der Preis dafür sind Missverständnisse oder schlimmer noch: Inhaltsleere, wenn Sprache zum Selbstzweck wird.

Musik infiziert die Emotionen, Text spricht den Verstand an: Nur mit einiger Gewalt und viel Konvention kann man beide zusammenzwingen.

Vielleicht langweilen wir uns deshalb bisweilen in Konzerteinführungen oder legen Programmhefttexte halb gelesen zur Seite, weil die Musik selbst in ihrer ganzen Pracht und Gewalt uns viel direkter lockt und überrollt, und dabei oft etwas ganz Anderes „bedeutet“ als das, was uns in den routiniert geschriebenen Texten suggeriert wird? Weil Musik die Emotionen infiziert, Text aber zunächst mal den Verstand anspricht? Weil geschriebener Text fixiert und statisch ist, Musik aber fließend und vergänglich?
Schon der Philosoph Wittgenstein sah hier ein Problem und meinte: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“. Indem wir aber darüber sprechen, verknüpfen wir das Herz mit dem Hirn, werfen unsere ganze, durch Gesellschaft und Tradition geschulte Bedeutungs-Generierungs-Maschinerie an. Und werten: Denn wer spricht, hat Recht. Oder tut zumindest so. Dabei wollte Wittgenstein vor allem darauf hinweisen, dass Dinge „existieren“, die man eben gerade nicht oder nur schemenhaft beschreiben kann, manche Träume zum Beispiel, oder alles, was verborgen im Unterbewusstsein schlummert und sich nur als vage Schatten zeigt. Und das deswegen aber nicht weniger „bedeutsam“ ist für unser Dasein und unsere Gefühle. Darüber zu sprechen, muss scheitern. Meinte zumindest Wittgenstein.

Aber stimmt das wirklich? Ist dieses Versprachlichen, Bewerten und verbale Teilen immer schlecht? Wir brauchen diese Arbeitsschritte unseres Gehirns nicht nur für die zwischenmenschliche Kommunikation, sondern auch für unsere eigene Gedankenwelt: um eben manche Dinge aus der halbbewussten Dämmerphase in das Neon-Licht unserer Aufmerksamkeit zu ziehen, um Zusammenhänge zu erkennen, um manche Stellen in ihrer vom Komponisten angelegten Bedeutung zu „verstehen“, andere umso mehr in ihrer „Undeutbarkeit“ zu genießen, wenn sie sich unserer Gedankenzange sperrig verweigern.

Schreiben über Musik ist auch eine Verbeugung vor der Musik. Scheitern gehört dazu, ebenso wie der ewige Neuversuch.

Dieser Spagat zwischen den Medien, die tägliche Aufgabe der Musikjournalisten, mag oft zum Scheitern verurteilt sein. Und doch ist er das eigentliche Ziel unserer Arbeit und die spannende, nie enden wollende Herausforderung. Weil Sprache nicht nur Medium, sondern ebenfalls eine Kunstform ist: Indem wir schreiben, bringen wir unsere Persönlichkeit ein, schaffen Neues, lenken den Blick immer wieder und unermüdlich auf Altbekanntes. Nicht nur durch klingende Interpretation der Künstler erfährt Musik so ihre ewige Erneuerung, auch durch unsere wortreiche Beschäftigung mit ihr, die zum Sinnieren oder zum Widersprechen einlädt. Schreiben über Musik ist auch eine Verbeugung vor der Musik und reißt zugleich Barrieren ein, kann Begeisterung oder zumindest Interesse wecken. Im besten Fall fixt Text den Leser mit Neugier an, im (Nach- und Selbst-)Erleben der beschriebenen Musik wird dann der große Rausch daraus. Vielleicht erfährt man manchmal auch erst durch die Spröde und Unschärfe der Texte, die sich mit Musik abringen, die sinnliche Unmittelbarkeit und Konkretheit der Musik selbst. So gehören zum Schreiben das Scheitern und der Neuversuch – Trial and Error – wie zum ganzen Leben.

© Michael Fielitz/flickr.com/CC BY-SA 2.0
© Anna Vogt


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