Von Malte Hemmerich, 14.01.2017

Ode an den Hass

Die heile Welt der Klassikwunschblase: Während die Redner geborgen in der Elbphilharmonie den Zusammenhalt der Gesellschaft predigen, zeigen sich im Netz zeitgleich übelster Zerfall und Spaltung. Auch Musik kommt gegen Hass nicht an!

Irgendetwas stimmt hier nicht. Wäre diese ominöse klassische Musik wirklich so himmelsgegeben, so ein Allheilmittel und Völkerverständiger, wie sie an diesem Elbphilharmonie-Abend im NDR dargestellt wird, das gesamte Öffentlich-Rechtliche müsste demnach Konzerte in Fussballfrequenz zeigen. Stattdessen dosiert man die angebliche „Wunderdroge" lieber sparsam. Die Übertragung der Elbphilharmonie-Eröffnung im NDR stinkt also von Anfang an schon nach Heuchelei bei gleichzeitigem Realitätsverlust. Ignorieren wir das und sind wir froh über diesen Mittwochabend, an dem fünf Stunden Sendezeit geopfert werden.

Die erste Konzerthälfte der Eröffnung, die Thomas Hengelbrock konzipiert hat, ist fordernd: über zwei Drittel Musik des 20. Jahrhunderts, obendrein ganz ohne Anna Netrebko und David Garrett. Auf Twitter schwankt das Publikum zeitgleich zwischen: „und dafür haben wir soviel gezahlt“ bis zu „Neues Publikum mit dieser Musik erschließen?? Chance vertan!“ Kommentaren, die noch als Diskussion durchgehen mögen. Schließlich bekommt Barbara Schöneberger, die als eine Art naives Eichhörnchen auf Speed durch den Abend im NDR führt, auch in der Pause aus der Bundeskanzlerin heraus, dass diese zum feierlichen Anlass heute „mehr Mozart“ programmiert hätte.

Natürlich lässt sich über dieses streckenweise sehr spezielle Programm diskutieren. Doch auch bei Missfallen könnte man Dinge, die man nicht versteht, still akzeptieren, sachlich dagegen argumentieren. Oder eben in eines der etlichen nächsten Konzerte in der Speicherstadt gehen. Erschreckend ist aber eine Tendenz, die sich aus all den Hunderten Twitter-Kommentaren herauskristallisieren lässt. Viele Bürger möchten nicht mit Steuern für etwas zahlen, das ihnen auf den ersten Blick nicht zusagt, auch nicht, wenn es unsere westliche Kultur definiert und erweitert, auf welche sie sich an anderer Stelle wieder gern berufen. Einig ist sich die Masse dann bei der Ode an die Freude: „Schööön, HerzchenHerzchenHerzchen." Oder, wie es ein anderer Kommentar formuliert: „Das sollte man mal den Asylanten vorspielen, dann lernen die mal Kultur kennen." Alle Menschen hassen wieder.

Doch nun zu den schlechten Nachrichten: Eine erste Niederlage musste das neue Wahrzeichen bereits hinnehmen. Der Bundespräsident schloss seine Rede im Festakt mit der klugen Phrase, dass man nun ja erneut die Chance und die Verpflichtung habe, die jungen Leute für die klassische Musik zu gewinnen. Wo aber sind die? Wenn überhaupt, erreicht die Eröffnungszeremonie dieses erwünschte Zukunftspublikum wohl über den YouTube-Livestream auf dem Channel der Elbphilharmonie. 22.000 Zuschauer verzeichnet der Stream zu Beginn, als dann aber als erstes Stück im Saal nicht der in den Kommentaren geforderte Imperial March, sondern nur Beethoven erklingt, sackt die Zahl beständig ab.

„Viele Bürger möchten nicht mit Steuern für etwas zahlen, das ihnen auf den ersten Blick nicht zusagt, auch nicht, wenn es unsere westliche Kultur definiert und erweitert, auf welche sie sich an anderer Stelle wieder gern berufen."

Die Dutzenden Livekommentare der Zuschauer lesen sich antithetisch zu den Reden, ja zur Musik.
Die Geigen setzen zur erhebenden Phrase an: „fidelfidelfidel macht mal was sinnvolles ihr Lappen“. Gauck berichtet vom breiten Bevölkerungsrückhalt: „deutschland geht unter und der labert nur“ oder „niemand hat auf den Scheiß gewartet“. Angela Merkel ist im Bild: „Todesstrafe“, „Volkverräterin“. Hengelbrock setzt zur Vierten Brahms an: „Jetzt hört ihr unsere Steuergelder singen“, oder „das war es ja mal voll wert ein haufen spinner im käfig.“
Kein Unverständnis, nur blanker Hass und Verachtung. Je länger die Musik ertönt, desto schlimmer wird es. An ernsthaften Diskussionen ist niemand interessiert. Es zählt, wer am lautesten schreit, die Meisten scheinen die Aufmerksamkeitsspanne einer Erdnuss zu haben. Wie soll die klassische Musik dagegen ankommen? Als dann die Hakenkreuze und „wo bleibt der LKW“-Kommentare alles andere verdrängen, fordern die letzten Vernünftigen: „Bitte schließt den Chat“. Das tut die Elbphilharmonie dann auch, nach nur 35 Minuten. So lässt sich zumindest Bernd Alois Zimmermanns Prélude ungestört in der heilen Welt der Klassikblase genießen. Aber eine Lösung ist das nicht.

Die hier und im Bilderslider zitierten Kommentare im Chat während der Live-Übertragung am 11. Januar wurden auf dem YouTube-Channel der Elbphilharmonie mittlerweile gelöscht.
Am 16. Januar reagierte der Pressesprecher der Betreibergesellschaft HamburgMusik gGmbH, Tom R. Schulz, auf die vor Veröffentlichung dieses Beitrags von niusic erfolgte Bitte um Stellungnahme zum Ablauf mit einem Statement, in dem sie den Abbruch des Livechats als geplant darstellt.
Schulz: „Wir hatten uns dazu entschieden, die Funktion des Livechats beim 360°-Livestream auf YouTube zu Beginn zu aktivieren, um Nutzeranfragen, mit denen vor und zu Beginn des Livestreams zu rechnen war, beantworten zu können. Uns war von vornherein bewusst, dass es nicht möglich sein würde, über die gesamte Länge der Übertragung einen Livechat zur Verfügung zu stellen.“
Den letztendlichen Ausschlag für die Chat-Schließung hätten dann aber wiederum sogenannte „Trolle“ gegeben. Der Genuss der Musik sollte dann nicht mehr vom Text im Chat gestört werden.
Dazu Schulz: „Nach einiger Zeit verirrten sich jedoch sogenannte Trolle auf die Seite, die mit Hakenkreuz-Darstellungen den Livechat und somit auch den Stream störten. Mehr und mehr waren die Community Manager genötigt, neben der Beantwortung ernsthafter Fragen der Nutzer besagte Troll-Kommentare zu löschen und zu blocken. Nach Beginn des Festaktes wurde vom Social Media Manager entschieden, den Livechat abzustellen. Von nun an sollte es ohnehin um den Genuss der Musik und der Bilder gehen.“

© Iwan Baan/elbphilharmonie.de


    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.