Von Malte Hemmerich, 07.11.2019

Kein Kompliment

Als Wunderkind gestartet, ist Jan Lisiecki mittlerweile fester Bestandteil der Top-Pianisten-Riege. Jetzt hat er alle Beethoven-Konzerte aufgenommen. Höchste Zeit also, nicht mehr auf seine Jugendlichkeit reduziert zu werden, und im Interview zeigt sich: Lisiecki ist weniger jung und stürmisch als ein kluger Denker mit Sinn für Tradition.

niusic: Haken wir das eine Thema mal schnell ab: Du wurdest als Wunderkind entdeckt, hast es aber trotzdem geschafft, künstlerisch nicht stehen zu bleiben. Wie hast Du das gemacht?
Lisiecki: Ich würde sagen, ich habe dem Begriff Wunderkind nie große Bedeutung beigemessen. Natürlich habe ich früh angefangen, und wenn die Deutsche Grammophon mit 15 anklopft, bittet man sie auch nicht zu warten, bis man dreißig ist. Aber ich habe nie etwas gemacht, nur weil ich jung war. Wenn Leute sagen, „Er ist so jung und spielt so gut“, ist das das schlimmste Kompliment, das man hören kann. Entweder spielt man gut, oder eben nicht.

niusic: Seit Du 16 bist, bist Du allein auf Tour ...
Lisiecki: Meistens reise ich tatsächlich mit meinen Eltern. Sie unterstützen mich und sind seit jeher dabei, wir machen viele Dinge zusammen. Sie verstehen mich, obwohl sie keine Musiker sind. Wir erkunden auf Konzertreisen dann gemeinsam die Stadt – das ist viel besser, als im Hotel Sachen zu bügeln oder Emails schreiben.

niusic: Vermisst Du denn nicht Freunde und so, das Sozialleben ist doch eingeschränkt?
Lisiecki: Ich hatte ja nie ein in dem Sinne „normales“ Leben. Ich mochte es schon immer, in Bewegung zu sein, auf dem Sprung sozusagen. Das macht mir Spaß. Natürlich wünsche ich mir manchmal, dass der Tag mehr Stunden hätte, aber tut das nicht jeder?

niusic: Hast Du auch so früh mit Beethoven angefangen?
Lisiecki: Ja, Beethovens Musik gehört ja in vielerlei Hinsicht zu den Grundlage der Klavierliteratur. Ich habe natürlich nicht alle Konzerte auf einmal gelernt, sondern nacheinander. Meine Sicht und Spielweise hat sich seitdem verändert und wird sich auch weiterhin ändern. Je mehr man einen bestimmten Komponisten spielt, desto mehr versteht man auch seine Sprache.

niusic: Manche Leute sagen, dass Beethoven einer der ersten romantischen Komponisten ist. Was denkst Du darüber?
Lisiecki: Es ist schwer seine Musik zu kategorisieren, für mich ist er seine ganz eigene Kategorie. Beethoven ist nicht unbedingt klassisch, aber auch eigentlich nicht romantisch. Zumindest meiner Meinung nach. Romantik bedeutet für mich fließende Musik, eine Melodie, die über allem steht, schön angereichert mit vollen Harmonien. Liszt, Chopin. Beethoven ist, ich will nicht sagen wütend, aber sehr drängend.

niusic: Wenn ich Deine Aufnahme höre, meine ich, dass Dir die mozartesken Konzerte 1, 2 und 4 besonders gefallen, richtig?
Lisiecki: Hm, nein, ich liebe das dritte Konzert eigentlich. Sehr. Und das Fünfte ist so gewaltig und klangreich und irgendwie ein Mysterium. Aber auch wieder ganz anders als das Vierte, das so kühn, forschend und innovativ ist. Ich mag es, wenn, wie hier, zum ersten Mal Grenzen überschritten werden.

niusic: Gibt’s da einen speziellen Moment, an den Du denkst?
Lisiecki: Ja. Die Coda des ersten Satzes im Dritten Konzert und der Beginn des Mittelsatzes. Das kann nur Beethoven. Aber es gibt Tausende solcher Stellen.



niusic: Was wärst Du für ein Klavier?
Lisiecki: Da nehme ich natürlich einen Konzertflügel (lacht.) Ich würde einen bestimmten Steinway wählen. An ihm fühle ich mich zuhause, es ist der hier in der Elbphilharmonie. Er ist nicht unbedingt intim, aber auch nicht aufdringlich im Sinne von „mitten ins Gesicht“. Der Klang ist rund, man kann ihn wunderbar und groß wirken lassen. Das passt zu mir, würde ich sagen.

niusic: Musst Du viel auf schlechten Klavieren spielen?
Lisiecki: Ja. Neulich habe ich ein Konzert gespielt und mochte den Klang gar nicht. Völlig leer, sehr hell, aber leer. Im Publikum klang es erstaunlicherweise toll. Ich habe einen Clip gesehen. Perspektive ist also wichtig. Ich habe auch schon Schlimmeres gespielt. Grundsätzlich mag ich die Herausforderung, mich jeden Abend auf ein neues Instrument einzustellen.

niusic: Auf der Beethoven-Aufnahme dirigierst Du gleichzeitig.
Lisiecki: Ich würde nicht von Dirigieren sprechen. Ich leite, und sie folgen. In dieser kleinen Besetzung ist es wunderbar. Man versteht sich und kreiert denselben Gedanken. Meist ist ein Orchesterkonzert weniger intim. Der Dirigent hat eine Vision, der Solist eine andere, und man kann manchmal nur hoffen, dass man sich in der Mitte begegnet.

niusic: Was spricht dagegen, das Orchester zu leiten? Hast Du dann vielleicht zu viel im Kopf?
Lisiecki: Nein. Ich weiß als Solist ja immer, was im Orchester passiert. Und mit Druck und Verantwortung komme ich gut zurecht.

niusic: Spielst Du deshalb nicht die großen Flaggschiffe der Klavierkonzertliteratur? Weil Du sie nicht intim genug hinbekommst?
Liesicki: Ich hätte auch nichts dagegen, häufiger Rachmaninow zu spielen. Es ist eine andere Welt, die ich aber genauso liebe. Da gibt es diesen „Wow-Effekt“, den man bei Mendelssohn beispielsweise auch erzeugen kann, aber härter dafür arbeiten muss. Rachmaninow ist einfach sofort und in sich beeindruckend. Ich mag Mozart, und Mozart in der Elbphilharmonie zu spielen verlangt Einsatz und Können und Arbeit – wenn es nach mir geht, vielleicht sogar mehr als Tschaikowski und Rachmaninow.

niusic: Aber spielst Du manche Konzerte generell nicht?
Lisiecki: Ich habe natürlich meine Wunschliste, manche finden sich darin logischerweise etwas weiter unten ... Oben stehen übrigens Schostakowitsch 2 und Rachmaninow 3.

„Ich mag tonale Musik mehr, als atonale, das kann ich offen sagen!“

Jan Lisiecki

niusic: Du bist 24 Jahre alt und sagst, Du seist ein Traditionalist. Wie stelle ich mir das vor?
Lisiecki: Als Mensch mag ich moderne Technologie und Gadgets. Aber ich schreibe auch Postkarten, Briefe mit Füller, mag Nachtzüge, analoge Uhren. Und auch auf der Bühne bin ich eher konservativ. Ja, wir sollten neues Publikum gewinnen, aber ich mag die klassische Konzertsituation. Die Musik kann ganz für sich stehen; pur, schön, anspruchsvoll. Es ist keine Popmusik, und es wird niemand dazu tanzen. Aber nur wenn Leute Klassik wie Pop aufmachen, muss man sie auch vergleichen, treten die beiden in einen Wettstreit. Klassik wird nie ein Massenphänomen. Aber Klassik für sich, als eigene Kunstform, kann so spannend sein. Nach Konzerten kommen immer noch oft junge Leute zu mir und sagen: Danke, das war mein erstes Mal und es war toll. Ohne dass ich Laser, Nebelmaschine, oder ein cooles Bühnenoutfit hätte.

niusic: Bist Du auch in Deinem Musikgeschmack traditionell? Was ist mit Neuer Musik?
Lisiecki: Es ist wichtig, Musik zu haben, die sich weiterentwickelt, und eine Tradition hochhält. Oftmals wurde das Neue in der Geschichte nicht genug wertgeschätzt, das stimmt. Ich habe da eine bestimmte Sichtweise, ähnlich wie auch auf moderne Kunst. Ich weiß zu schätzen, wenn etwas gut balanciert und strukturiert ist. Bei vielen modernen Schöpfungen ist das nicht unbedingt der Fall. Dann muss man manchmal erst herausfinden, was Kunst sagen will, es braucht eine Beschreibung. Wenn Musik eine Beschreibung braucht, um sinnvoll zu sein, hat das keinen Reiz für mich. Ich mag tonale Musik, mehr als atonale, das kann ich offen sagen.

niusic: Was hältst Du von politischen Statements bei Konzerten?
Lisiecki: Ich schätze die Musik als einen Rückzugsort mit dem Potenzial, uns alle zu verbinden. An vielen Orten finden sich ja oftmals zwei vollkommen gegensätzliche politische Lager. Jegliches Politisieren würde uns da nicht zusammenbringen, sondern auseinander. Es sind ja alle da, um die Musik zu hören, und das ist mir wichtig. Meiner Meinung nach wird Musik immer kleiner, wenn sie politisiert wird.

niusic: Was ist Deine größte Angst aus künstlerischer Sicht?
Lisiecki: Oh, gute Frage. Ich bin nicht furchtlos, aber wenn ich an etwas glaube, dann stehe ich dazu. Wenn jemandem das, was ich mache, nicht gefällt, kränkt mich das nicht. Man kann auf der Bühne keine Angst haben.


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Ludwig van Beethoven

Beethoven Complete Piano Concertos

Jan Lisiecki, Academy St Martin in the Fields

Deutsche Grammophon

© Christoph Köstlin/DG


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