Von Malte Hemmerich, 27.02.2017

Kein Kinderspiel

„Carmen“ für Kinder oder die „Zauberflöte“ in zwanzig Minuten: Projekte, die große Oper für ihre jungen Zuhörer reduzieren und auf die vermeintliche Substanz kürzen. Geht es auch anders? Der Komponist Jörn Arnecke spricht über das Musikschreiben für Kinder und seine erfolgreiche Familienoper „Ronja Räubertochter“.

niusic: Ihre Familienoper „Ronja Räubertochter“ läuft nun seit zwei Jahren in mehreren Theatern in NRW, bietet anspruchsvolle Neue Musik und wird von ihren jungen Zuhörern gefeiert. Trotzdem werden wohl wenige der heute begeisterten Kinder später in irgendeiner Weise noch mit dieser Musik in Kontakt stehen ...

Jörn Arnecke: Richtig. Aber erst einmal ist es ein Ziel, eine solche Altersgruppe für diese Art Klänge zu öffnen, überhaupt eine Hörhaltung zu schaffen – es kann ja heute nicht mehr vorausgesetzt werden, dass dies an anderer Stelle geschieht. Dass das Interesse an komplexer Musik langfristig erhalten bleibt, schafft eine einzelne Oper natürlich nicht. So etwas müssen die Theater leisten, es braucht einen nachhaltigen Prozess: immer wieder Musiktheater für diese Zielgruppe anbieten und so ein Publikum schaffen, das mitwächst.

niusic: Warum ist gerade die Auftragslage für Kinder- und Jugendopern recht gut?

Arnecke: Das ist eine erfreuliche Entwicklung, dass im Moment ein so großes Interesse an Opern für Kinder besteht! Mit der Zielgruppe Kinder ist es für die Theater wohl einfacher, Sponsoren zu gewinnen; so erklärt sich vielleicht die Bereitschaft, in diesem Bereich schneller Aufträge zu vergeben. An dem Projekt in Düsseldorf/Duisburg, Dortmund und Bonn finde ich sehr gut, dass die Kinder dann auch ins große Haus gehen dürfen und nicht auf Nebenspielstätten ausgewichen wird. Dadurch werden die Kinder als Publikum ernst genommen – wie ich es auch musikalisch versuche. Nicht reduzieren, sondern möglichst viel bieten: Das ist der Gedanke dabei.

niusic: Wie komponieren Sie denn für Kinder?

Arnecke: Der grundsätzliche Kompositionsprozess unterscheidet sich nicht von anderen Stücken. Aus meiner Sicht wäre es ein großer Fehler, Kinder zu unterfordern. Ich versuche immer, eine nachvollziehbare musikalische Sprache zu wählen, das bedeutet auch härtere Klänge für härtere Themen. Anders ist es bei der Stücklänge. Hier muss man die natürliche Aufmerksamkeitsgrenze bei Kindern und Jugendlichen beachten. Doch sonst: Alle Möglichkeiten der Neuen Musik, die herben wie auch die melodiösen, nutze ich bei einer Oper für Kinder genauso wie bei einem Musiktheaterwerk für Erwachsene.

niusic: Wobei es in „Ronja“ ja auch durchaus Impressionistisches gibt ...

Arnecke: Bei diesem Stoff hatte ich weniger den Wunsch, ganz neue Techniken zu erfinden, als vielmehr, bestehende einzusetzen. Die Geschichte vom Leben auf der Räuberburg bezieht sich ja auf Ursprüngliches, Archaisches.

niusic: Seltsam, dass man erst jetzt auf die Idee kam, eine Oper aus dem Stoff von Astrid Lindgren zu machen.

Arnecke: Als der Verlag das Thema vorschlug, habe ich tatsächlich erst gezögert! Viele verbinden schon Klänge und Bilder mit „Ronja Räubertochter“, durch das populäre Buch und den Film. Bei so einem bekannten Stück kann man leicht Erwartungen enttäuschen. Jetzt bin ich aber glücklich, dass das Stück so viel Anklang findet!



niusic: Stimmt es, wenn man sagt, Kinder seien vorurteilsfrei und gute Musikhörer? Also konkret: Gefällt den Kindern „Ronja Räubertochter“ besser als den Eltern?

Arnecke: Die Tendenz stimmt. Die Kinder kommen mit weniger Erwartungen an Oper in die Vorstellung, die Eltern haben eher ein vorgefertigtes Bild. Natürlich gibt es auch von Eltern die Reaktion: anders als erwartet, aber trotzdem gut! Das freut mich.
Kinder finden es automatisch stimmig, wenn ich Kälte mit knarzender Kühle in den Instrumenten darstelle. Später nimmt man das wohl nicht mehr so einfach hin. Meine heimliche Hoffnung ist gewesen, dass die Erwachsenen durch die Offenheit ihrer Kinder selbst offener werden.

niusic: Wird die Neue Musik in manchen Vermittlungsprojekten auch banalisiert, also gibt es schlechte Neue Musik-Vermittlung?

Arnecke: Ja, und das finde ich dann sehr schade. Natürlich haben aber auch viele der spielerischen Projekte zum Selbst-Musizieren einen Mehrwert: Die Kinder kommen aus der passiven Hörhaltung in die eines Musikers. Dafür muss man eben freier mit Instrumenten und Notation umgehen. Das muss aber eine getrennte Sphäre vom Theaterbesuch sein. Der soll in hohem Maße anregen!

niusic: Dafür braucht es aber Anknüpfungspunkte an die eigene Lebensrealität. Ist Neue Musik „für Erwachsene“ nicht viel zu weit weg von den aktuellen Themen, die Menschen beschäftigen? Und lässt sie Gefühle bei aller Kopfarbeit außen vor? Nehmen wir Wolfgang Rihm zum Beispiel ...

Arnecke: Rihm komponiert zum Teil sehr emotional und körperlich. Musik kann glücken oder weniger glücken. Das hält sie auch lebendig. Für mich persönlich ist es das erklärte Ziel, Emotionen hervorzurufen und außerdem gedanklich noch etwas zu bieten. Ein schwieriger Balanceakt, aber ich glaube: In der idealen Musik ist auch immer viel Kopf dabei, bei allen Gefühlen.

niusic: Aber wer will in seiner Freizeit den Kopf noch anstrengen: Wie kann Neue Musik bestehen zwischen den unzähligen Unterhaltungsangeboten unserer Tage?

Arnecke: Es gab immer und überall ein Bedürfnis nach mehr, nach Tiefe. Und darauf baue ich und hoffe einfach, dass der gesellschaftliche Raum für diese Erfahrungen, die Zeit und Konzentration brauchen, dann aber die innersten menschlichen Schichten freilegen, auch in zwanzig Jahren noch vorhanden sein wird.
Und dann ist da ja auch unser aktiver Anteil von Künstlerseite, also die Musik, die komponiert wird. Erst einmal gelingt die natürlich nicht immer und ist wie jede Kunst jedes Mal ein neues Wagnis. Und in welche Richtung die Neue Musik geht, ist die zweite Frage: Eine andere Komponistengeneration setzt andere Schwerpunkte. Ich erlebe da im Moment eine mehrheitliche Rückbesinnung auf Klang- und Spielfreude. Ein richtiger, guter Weg, meiner Meinung nach.

Jörn Arnecke

Jörn Arnecke wurde 1973 in Hameln geboren. Er ist vor allem für seine Musiktheaterwerke bekannt, die beispielsweise bei der Ruhrtriennale und an der Oper Frankfurt aufgeführt wurden. Er studierte Komposition unter anderem bei Gérard Grisey in Paris und gewann als 30-Jähriger den Hindemith-Preis.
Seit 2009 ist Arnecke Professor für Musiktheorie und Gehörbildung an der Hochschule Franz Liszt Weimar. Seine Familienoper „Ronja Räubertochter“ erlebte 2015 in Duisburg ihre Uraufführung und wurde bereits von der Oper Dortmund übernommen. Für diese Auftragskomposition hat Jörn Arnecke gemeinsam mit dem Librettisten Holger Potocki das Buch von Astrid Lindgren umgearbeitet und in Musik gesetzt. Im eineinhalbstündigen Musiktheater klingen viele verschiedene Musikstile an. Das Stück wird im Sommer an die Oper in Bonn kommen.

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