Von Ida Hermes, 15.05.2018

Anfang ohne Ende

Auf dem Debütalbum der Sopranistin Francesca Aspromonte dreht sich alles um eine frühbarocke Form des Opernbeginns. Zwölf Prologe auf einer CD – kann das funktionieren?

Fototermin. Francesca Aspromonte verschränkt die Arme hinter dem Rücken und beginnt sich im Kreis zu drehen. Luft wirbelt unter den Saum ihres roten Abendkleides, ihr Haar folgt dem Schwung, sie neigt sich zur Kamera. Klick. Sind Debütalben nicht wie Bewerbungsschreiben? Man sammelt, was man am besten kann, poliert das Glänzende auf Hochglanz, ein nettes Porträt aufs Cover. Fertig. Ach ja, ein Titel. Name und Werkangaben kommen immer gut, oder aber eine markige Bezeichnung dessen, was man da zusammengetragen hat: „Opera Arias“, „Händel-Arien“, „Bella Voce“. Francesca Aspromonte möchte es besser machen. „Prologue“ leuchtet es in weißen Lettern vom Titelblatt, und hinter dem unscheinbaren Wort versteckt sich eine wohlbedachte Dramaturgie. Prólogos, griechisch das „Vorwort“. Vorwort zu was? Natürlich zur Oper!

Eine Erkundungstour durch die Prologe der Musikgeschichte

Die 26-jährige Sopranistin ist in der Zeit gereist. Zu den Anfängen der Oper im ausklingenden 16. Jahrhundert, nach Florenz, Mantua, Venedig. Zu bekannten und unbekannten Komponisten wie Giulio Caccini, Claudio Monteverdi, Luigi Rossi oder Pier Antonio Cesti. Eine Erkundungstour durch die Prologe der Musikgeschichte, auf der Suche nach wunderbaren Wesen: den Allegorien. Sie betreten vor Beginn des Geschehens die Bühne und wenden sich direkt an das Publikum. Danken den adeligen Auftraggeberinnen und Auftraggebern des Werks, singen vom Wesen der Kunst, der Bedeutung des Folgenden, etablieren Zeiten und Räume, bitten um Aufmerksamkeit und Ruhe. Die Musik, die Tragödie, die Stadt Rom, die Liebe – Francesca Aspromonte hat sie versammelt und für ihr erstes Album in eine eigene Ordnung gebracht: eine „Oper vor der Oper“.



Francesca Aspromonte wird auf wunderbare Weise als Interpretin greifbar.

Die ersten Töne erklingen, und es ist, als würde ein alter Vorhang aufgezogen. Die „Toccata“ 91 aus Monteverdis „L‘Orfeo“ quietscht, knarzt und staubt ein wenig, schroff akzentuiert, in Zeitlupentempo. Das Originalklang-Ensemble Il Pomo d’Oro unter Enrico Onofri hält nichts von glattgebügeltem Schönklang. Dann betritt die Musik höchstpersönlich die Bühne. „Dal mio Permesso amato a voi ne vegno“, „von meinem geliebten Permessos komme ich zu euch hernieder“, singt Francesca Aspromonte und wird in jedem Ton, jeder Silbe auf wunderbare Weise als Interpretin greifbar. Ihre Stimme ist von eher dunklem Kolorit und hat so viel Gehalt, dass jedes Vibrato als bewusst eingesetztes Stilmittel wirken kann. Als die Figur des Friedens in „La Pace incatenata“ von Alessandro Stradella singt sie so leise, dass man seinen Ohren kaum trauen möchte, gewinnt in den höheren Registern des Prologs zu Francesco Cavallis „L‘Eritrea“ beinahe ein countertenorales 36 Timbre. Die Italienerin verwandelt sich von einer Allegorie in die nächste, lässt ihre Stimme bunt schillern. Schnell ist klar: Diese sperrig anmutenden, 400 Jahre alten Monologe sind alles andere als langweilig.

  1. Eine humane Weiterentwicklung des Kastraten. Wenn ein guter Countertenor singt, kann man seine Stimme für die einer Frau halten. Aber halt: Macht nicht das männliche Grundtimbre erst einen glanzvollen Counter und seinen ganzen Reiz aus? Darüber kann man streiten. Letztendlich ist das aber Geschmackssache. (MH)

  2. Fest drauf schlagen und der Freiheit frönen: Der Begriff Toccata hat italienische Wurzeln, „schlagen, berühren, tasten“, und in dieser Schublade wurde viel hineingepfercht, was für Tasteninstrumente komponiert wurde. Im Unterschied zu Sonaten oder Fantasien ist der Charakter der Toccata einer freien Improvisation gleichzusetzen, aber natürlich auskomponiert. (CW)



Es funktioniert!

Das Album stellt den Eingangsszenen immer wieder die zugehörige Sinfonia voran. Eine frühe Form der Ouvertüre 174 , die hier die Funktion instrumentaler Zwischenspiele übernimmt. Für die Verbindung der unterschiedlichen Musiken spielen Tonartenverhältnisse eine wichtige Rolle, gelegentlich münden die Schlussakkorde der Prologe gar in die Tonart der folgenden Sinfonia. Francesca Aspromonte, Il Pomo d’Oro und Enrico Onofri lassen den Faden nie abreißen, formen die Einzelstücke zur Einheit. Die Spielpraxis ist durchweg kantig und mag – ähnlich wie die Aufnahmen eines Nikolaus Harnoncourt – selbst für Liebhaber:innen historisch informierter Musik 122 Geschmackssache sein. Sicher ist: Sie bezieht klar Stellung, positioniert sich innerhalb dieses Feldes und gibt die Interpretin als Persönlichkeit zu erkennen. Das erfordert Mut und ist keine Selbstverständlichkeit. Doch es lohnt sich, denn hier wird der eigentliche Zweck eines Debütalbums erfüllt: Es kommuniziert Alleinstellungsmerkmale, macht seine Protagonistin für Hörerinnen und Hörer einzigartig und unvergesslich. Bravissima, Francesca Aspromonte!

  1. Darf man Bach auf dem Klavier spielen, obwohl es das Instrument im Barock noch nicht gab? Geht Haydn nur bei Kerzenschein? Der Streit um eine historisch korrekte Aufführungsweise oder -praxis begann schon bei Mendelssohn-Bartholdy, und noch heute wird geforscht, probiert und diskutiert, wie man auf historischen Instrumenten oder zumindest „historisch informiert“ spielt. (AJ)

  2. Eigentlich soll man sich seine Hits ja immer bis zum Schluss aufsparen. In Opernouvertüren wird diese Regel aber generell missachtet. Oft gibt es hier ein Medley der schönsten Melodien der folgenden Oper, manchmal aber auch neue musikalische Gedanken. Im Laufe der Zeit wurden Ouvertüren immer vielseitiger eingesetzt, außerdem durften manchmal, wie bei Tschaikowski, sogar Kanonen mitspielen! (MH)


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Claudio Monteverdi, Francesco Cavalli, Alessandro Scarlatti u.a.

Prologue

Francesca Aspromonte, Il Pomo d´Oro, Enrico Onofri

Pentatone

© RibaltaLuce Studio 2018/Nicola Dal Maso


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