#kunstlied

Von Minnesang bis Zwölfton – die niusic-Themenreihe zur Liedkunst

Von Hannah Schmidt, 28.04.2017

Liederzyklus, selbstgemacht

Natur, Liebeskummer, Abschied, Reise – in Gedichten und Liedern aus dem 19. Jahrhundert geht es fast immer um das Gleiche. Warum nicht einmal die Lieder austauschen und neu zusammenstellen? niusic macht den Test.

Franz Schubert hat in seinen 31 Lebensjahren fast 700 Lieder komponiert, Robert Schumann knapp 200. Nimmt man noch andere Komponisten hinzu, ergibt sich eine Sammlung von weit über Eintausend – wenn nicht deutlich mehr – romantischen Liedern, die zwar in ihren Details alle unterschiedlich sind, aber dennoch überwiegend von den selben Themen handeln. Ob es ein Wanderer ist, der seine Liebe verloren hat, ein Müller, der sich im Unglück suhlt, oder ein einsamer Mann, der nur vom Mond begleitet durch die Nacht spaziert – inhaltlich begegnen uns immer wieder die gleichen Gestalten und Themen.
Wir haben den Test gemacht: Kann man innerhalb weniger Stunden aus dem großen Wust an romantischen Liedern vierzehn von ihnen auswählen und zu einer inhaltlich und chronologisch schlüssigen Geschichte kombinieren, am besten auch musikalisch? Es ist uns gelungen – fast.

Die letzte Fahrt des Schiffers

Stellt euch vor: Ein von seiner Geliebten verschmähter oder verlassener Fischer steht gebrochenen Herzens, nachdenklich, innerlich leer am Wasser und schaut in die Weite. Er fürchtet sich vor der Stille, die ihn umgibt, jetzt, nachdem seine Liebe nicht mehr in seinem Leben ist. Es ist die gleiche Stille, die er auch auf dem Wasser beobachtet, „Todesstille, füchterlich!“ Dennoch zieht es ihn hinaus, noch tiefer hinein in diese Stille, in dieses Nichts – und hier beginnt die Todesfahrt, das letzte „Hinaus aufs Meer“, der letzte Gang dieses Fischers, dieses lyrischen Ichs, das der Protagonist unseres neu kreierten Liederzyklus‘ ist.

„Im Winde, im Sturme auf dem Fluß“

Eingeleitet und abgeschlossen wird die Geschichte jeweils von der Beobachtung eines Außenstehenden: „Und bekümmert steht der Schiffer“ heißt es am Anfang, später dann: „Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll/ Netzt‘ ihm den nackten Fuß/ Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll/ Wie bei der Liebsten Gruß.“ Kurz vor Ende spricht ein Meeres-Geist: „Und du, Menschenschifflein dort/ Fahr‘ immer, immer zu.“ Während seiner Reise spricht hingegen der Fischer selbst: „Ach, wer bringt nur eine Stunde/ Jener holden Zeit zurück?“, klagt er, will „lieber durch Leiden“ sich „schlagen“ und fährt „im Winde, im Sturme auf dem Fluß“.

Nachdem er an diesem Wind und Sturm gescheitert ist, schiffbrüchig wird und sinkt, zieht ihn eine Wassernixe, wie es ihm im Wahn scheint, mit sich in die Tiefen. Ein Erzähler singt schließlich im Epilog davon, dass „morgen […] die Sonne wieder scheinen [wird]“. Der Tod des Fischers verändert nicht den Lauf der Welt, verändert nicht das Leben der Menschen aus seinem Dorf oder seiner Stadt. Die Natur hat ihn zu sich genommen (ähnlich auch wie der Bach in Schuberts Die schöne Müllerin den Wanderer friedvoll aufnimmt), und das Leben geht weiter seinen Lauf.



Gedichte von Goethe, Heine, Eichendorff und Mackay

Die Geschichte funktioniert in ihrer Chronologie ganz gut – dabei basiert sie auf Gedichten von Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine, Joseph von Eichendorff und John Henry Mackay, in den Vertonungen von Franz Schubert, Robert Schumann und Richard Strauss. Die Texte und Lieder entstanden unabhängig voneinander, zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Zusammenhängen, Robert Schumanns Liederkreis beispielsweise, aus dem das Gedicht Berg und Burgen schaun herunter stammt, ist aus dem Jahr 1840, Franz Schuberts Geistesgruß (nach einem Text von Johann Wolfgang Goethe) von 1815, und Richard Strauss‘ Morgen! von 1894 – nach dem gleichnamigen und im gleichen Jahr entstandenen Mackay-Gedicht.

Der Kombinations-Test hat recht gut funktioniert, auch wenn es natürlich im Text- und musikalischen Verlauf einige Ungereimtheiten gibt. Trotz der gleichen Entstehungsepoche und der gleichen romantischen Tradition, in der die Lieder stehen, ist ja doch jedes von ihnen ein Unikat und nicht darauf angelegt, zusammen mit austauschbaren anderen Liedern eine stringente Geschichte zu erzählen.
So ergibt sich zwar über diese Spielerei eine nette kleine musikalische Geschichte, doch bekommt man bei der Arbeit daran auch einen Eindruck von der Komplexität eines echten Liederzyklus. Dazu gehört schließlich doch mehr als nur entfernte inhaltliche Verwandtschaft der Texte, nämlich eine natürlich als solche intendierte Geschichte oder Handlung. Vor allem aber braucht es auch eine musikalische Dramaturgie, die einzelne Worte, Themen, Orte, Figuren und Gefühle aufnimmt und in allen Liedern des Zyklus motivisch aufeinander bezieht und kommentiert.

Für einen echten Zyklus braucht es dann doch mehr als einen Nachmittag Zeit und etwas Kreativität. Dafür müsste man einfach ein bisschen mehr Franz Schubert sein.

Der Zyklus „Die letzte Fahrt“

Erfreulicherweise gibt es hier von allen ausgewählten Liedern (bis auf das letzte) Aufnahmen von Dietrich Fischer-Dieskau – der Hörer muss sich also nicht auf ständig wechselnde Stimmen einstellen (und dass gerade der Epilog mit Jonas Kaufmann von einem anderen Sänger interpretiert wird, passt vielleicht auch ganz gut.)

Die Lieder:

1. Franz Schubert - Meeres Stille
2. Robert Schumann - Die Stille
3. Franz Schubert - Erster Verlust
4. Franz Schubert - An Mignon
5. Franz Schubert - Rastlose Liebe
6. Franz Schubert - Auf dem See
7. Franz Schubert - Am Flusse
8. Robert Schumann - Verratene Liebe
9. Robert Schumann - Melancholie
10. Robert Schumann - Berg und Burgen schaun herunter
11. Franz Schubert - Geistes-Gruß
12. Franz Schubert - Der Schiffer
13. Franz Schubert - Der Fischer
14. Richard Strauss - Morgen!

© Opensource/ Wikimedia: Caspar David Friedrich - „Mönch am Meer“/CC0
© Hannah Schmidt


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