Schriebe man eine Parabel „Wenn Komponisten Tiere wären“, wäre der Fuchs wahrscheinlich eine ganz gute Besetzung für Joseph Haydn. Immer umweht seine Musik ein Hauch des Gewitzten. Da steckt wörtlich „Witz“ drin, aber auch Intelligenz und ein bisschen Verspieltheit. Und wen hat der alte Haydn-Fuchs nicht schon alles aufs Kreuz gelegt mit seinen Überraschungen? Zum Beispiel Studenten in ihren Musikanalyse-Kursen oder die Zuhörer der ersten Aufführung seiner Sinfonie „mit dem Paukenschlag“.
Wäre er auch so ein Fuchs, wie der, der auf dem Cover von Pierre Gallons Einspielung von Haydn-Tastenwerken „per il Cembalo Solo“ durch ein winterliches mitteleuropäisches Szenario streift? Wohl kaum, das wirkt doch etwas unintuitiv. Der sieht eher aus wie ein ganz normaler Fuchs an einem ganz normalen Wintertag, der vor allem eins ist, nämlich „solo“. Genau wie Gallon auf seiner Einspielung, auf der er übrigens darauf geachtet hat, nur solche Werke zu spielen, bei denen in Quellen belegt ist, dass sie für das Cembalo 165 gedacht waren.
Das Cembalo (engl. Harpsichord) war das Klavier des 17. und 18. Jahrhunderts. Hier werden keine Saiten geschlagen, stattdessen wird liebevoll an ihnen gezupft! So entsteht ein sanfter Klang mit vielen Obertönen. Einige schwere, deutsche Cembalomodelle konnten allerdings auch hart und wuchtig klingen. Viele heutige Klavierklassiker wurden ursprünglich für Cembalo geschrieben: beispielsweise die Goldberg-Variationen. (MH) ↩
Als rotbrauner Farbtupfer verleiht das Tier der Landschaft außerdem ihren einzigen optisch interessanten Impuls. Eine Positionierung zur Interpretations-Landschaft? Gallon, allein bedeutsam auf weiter Flur, indem er Haydn historisch angemessen auf einem – übrigens sehr wohlklingenden – Cembalo einspielt? Der einzige Fuchs in allen Wäldern der Erde ist Gallon in interrpetatorischer Hinsicht sicher nicht, aber das heutige Bild von Haydn ist noch immer deutlich mit einem Klang von Klassik verbunden, der durch das moderne Klavier geprägt ist. Diese und andere Cembalo-Einspielungen ändern Perspektiven, zeigen, wo Haydn musikgeschichtlich herkommt, nämlich von den Bachs, und nicht, wo er hinführt, nämlich zu Beethoven.
Andererseits ist ein Fuchs im Wald aber auch nichts überraschend Besonderes, er wohnt ja schließlich dort. Schön, ja – aber auch erwartbar, unaufregend. Die Musik etwa auch? Für das eröffnende Allegro zur Partita in G (einer noch barocken Bezeichung eines sonatenhaften Klavierstücks) trifft das zu. Es hat so deutliche Strukturen, dass die gläserne Cembalo-Oberfläche eine übermäßige Durchschaubarkeit bewirkt, die durch die breiteren spielerischen Möglichkeiten eines Pianoforte vielleicht etwas überschliffen werden könnte. Aber das verschuldet die Musik, nicht der Interpret, der hier wie auf der ganzen CD das gerne etwas staubige Instrument eigentlich frisch und modern klingen lässt.
Ganz anders deshalb Glanzstücke der Aufnahme wie die Sonate in D, deren kompositorisches Niveau Gallon dazu herausfordert, mit lebendigem Spiel die ernsten und leichten Seiten des Werks bündig zusammenzuschmieden. Wahrscheinlich durfte der erste Satz deshalb als Video-Teaser für das Album herhalten.
Schließlich sind auch die Transkriptionen der Lieder „Geistliches Lied“, „Minna“ und „Auf meines Vaters Grab“ für das Cembalo kleine Besonderheiten, nicht nur, weil es sie so transkribiert noch nicht gibt, und weil Gallon das Instrument herrlich singen lässt. Sondern auch, weil sie das Liedgut neu beleuchten und von Schubertschen oder anderen späteren Allüren befreien und trotzdem oder gerade deshalb zeigen, wie fortschrittlich Haydn eigentlich war. Auch Füchse können übrigens unter dicksten Schneedecken Leben aufspüren.