Von Karl Ludwig, 16.10.2018

Puristen oder Gipfelstürmer?

Nach dem vielbeachteten Haydn-Debütalbum spielt das Goldmund Quartett nun Schostakowitsch. Finden die jungen Gipfelstürmer im grotesken Linienspiel des 3. und 9. Streichquartetts den richtigen Betrachtungswinkel? Eine Coververmessung.

„Bitte lächeln!“, ruft der Fotograf bei der Aufnahme von Coverfotos schon lange nicht mehr. „Visionär“ oder „vornehm“ vielleicht schon eher. Bei Berlin Classics, wo das Quartett nun neu unter Vertrag ist, dreht sich alles ums Konzept. Weiß man doch gerade in Berlin, dass wir in einer Zeit der klaren Formen, technoider Wiederholung und nüchternen Stringenz leben – auf gut deutsch, dass wir cool sind. So stecken die vier Musiker des Goldmund Quartetts die Köpfe in Anordnung einer Raute zusammen und schauen in vornehm visionärem Schwarz-Weiß in die Kamera. Und um die kühle Kühnheit dieses fotografischen Konzepts herauszustellen, legt sich über die Gesichter die rautenförmige Blaupause.

Dabei schien das Ensemble zu Beginn seiner Karriere viel eher energische Bergspitzen als strenge Ebenen zu suchen. Für ihr Debütalbum mit Haydn-Quartetten (Naxos 2016) wurden die vier Musiker gar als sofortige Gipfelstürmer samt Instrumenten auf die Zugspitze verfrachtet und blickten dort im Anzug, was sonst, vornehm visionär in die Drohnenkamera. Auf diesen Gipfel aber führte sie eine Einspielung, die mit klarem Klang, flotten Tempi und einer stringenten Gradlinigkeit überzeugt hat. Mit diesem Rezept visieren sie nun einen weiteren hohen Gipfel der Quartett-Literatur an: Schostakowitsch. Ob sich die flächige Interpretation mit dem steilen Vorhaben verträgt?



Das nämlich sind die berühmten Streichquartette Nr. 3 und Nr. 9. Mit dem einleitenden klassizistischen Thema des dritten Quartetts deuten die Musiker einen schönen Bogen von der Debütaufnahme an. Klar im Ton, mit überspitzter Artikulation 22 und immer mustergültiger Balance nehmen sie Schostakowitsch ohne mit der Wimper zu zucken. So hauchdünn, fast durchsichtig und gerade wie die Linien der Raute auf dem Cover spielen die Stimmen den Notentext glasklar und fein. Dabei wanken sie im Tempo so wenig wie in der Intonation und führen jede Phrase auf den Punkt zusammen. Das ist, ganz wie auf dem Cover, mit dem Lineal konzipiert, selbst kleine Nuancen im ohnehin spärlichen Vibrato 186 sind zwischen den Spielern abgestimmt. Diese schlanke, nüchterne und unbeirrte Umsetzung kommt Schostakowitsch oft zu Gute. Das Zusammengesteckte, schräg Floskelhafte seiner Harmonik, die eigenwilligen Abwege und harschen mehrtonalen Überlagerungen sind wie ein kalter Bergsee bis zum Grund transparent. So tritt der unbeugsame, der eigenartige, der technoide Schostakowitsch glänzend hervor.

  1. Der Ton macht die Musik. Falsch! Seltsames Sprichwort, denn eigentlich müsste es heißen: Die Artikulation macht die Musik. Es gibt mehrere Arten, Töne zum Klingen zu bringen: kurz – staccato, lang – tenuto, gebunden – legato, ultrakurz – staccatissimo und eine Mischung aus legato und staccato – portato. (CW)

  2. Dieses wunderbare Schwingen des Tones macht die Noten eines Sängers oder eines Streichinstruments erst zu Musik! Durch geringfügige Frequenzänderungen scheint der Ton zu leben. In der klassischen Musik eine der weitverbreitetsten Spieltechniken. Aber Vorsicht, es gibt auch Werke, da ist weniger mehr. (MH)



Glut durch Kälte

Oft aber ist diese geometrische Präzision auch zu festgezurrt und wird zur Prinzipienreiterei. Im Adagio des dritten Quartetts schlägt das Metronom etwas zu laut mit, und viele der schmerzenden Kantilenen bleiben einfarbig. Denn Schostakowitschs Partitur mit ihren modalen Spreizungen, den gegeneinander versetzten Akkordpendeln und abgrundtiefen Rückungen glüht in ihrer kalten Berechnung schon allein. Sie muss nicht noch skandiert werden.

Die gewisse Irre des Blicks, ein Stolpern im Marschieren, groteske Fratzen in verzerrten Akkorden, das bleibt bei all der Perfektion auf der Strecke: Da ist das knirschende Gebiss versetzter Wechselnoten, die Triller im dritten Satz von Nr. 9 elektrifizieren, und die Tremolos 92 im Schlusssatz verfehlen ihre schauerliche Wirkung nicht. Aber immer fehlt dem Quartett der färbende Tropfen eigenen Wahnsinns. Der glasklare Bergsee bleibt still und die musikalische Substanz Schwarz in Weiß. Da stockt kein Atem im Finale von Nr. 3, die tolle Geste der Glissandi im Mittelsatz von Nr. 9 erstarrt im Korsett des Metrums, die Raute duldet keine Überschreitungen.

  1. Die reinste Zitterpartie frei von Taktschlag und Rhythmus! Streichinstrumente wiederholen unfassbar schnell einen einzigen Ton, Bläser wechseln blitzartig zwischen zwei Tönen, die nur minimal voneinander entfernt sind. Da entsteht eine irrsinnige Spannung, und wir zittern mit. (CW)



Grauabstufungen etwas zu platt

Letztlich ist die Interpretation des Goldmund Quartetts ein wenig zu abgezirkelt. Sie verkrampft in kalter Präzision. Die Transparenz, die unbeirrbaren Tempi und der Verzicht auf alles virtuose Gehabe tun gut. Sie lassen Schostakowitsch in jenem gleißenden Licht erscheinen, in dem auch die Musiker aus dem tiefen Schwarz des Covers herausblicken. Aber für die unglaubliche Bandbreite an Brüchen, Umschwüngen und Farben dieser Komposition sind die Grauabstufungen doch etwas zu platt. Anstatt visionär neue Gipfel zu erklimmen und Schostakowitschs Geometrie mit eigenen Färbungen plastisch werden zu lassen, bleibt das Quartett vornehm in der kalkulierten Ebene. Daran kann auch die sehr beliebige Beschriftung der geometrischen Blaupause auf dem Cover nichts ändern.


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Schostakowitsch

String Quartets 3 & 9

Goldmund Quartett

Berlin Classics

© Goldmund Quartett


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