Von Sophie Emilie Beha, 10.12.2019

Bärtige Bartoli

Die Mezzosopranistin Cecilia Bartoli hat ihr neues Album dem wohl berühmtesten Kastraten, Farinelli, gewidmet und inszeniert sich selbst auf dem Cover.

Die Bartoli trägt Bart. Und könnte damit locker als Zwillingsschwester von Conchita Wurst durchgehen. Das Schnauz- und Kinnaccessoire wirkt perfekt gestutzt und montiert. Dunkelbraune Lockenhaare rahmen das Gesicht ein, Eyeliner und schwarze Fingernägel komplettieren den skurrilen Look. Ein Hoch auf Maskenbildner und Photoshop! Die Arme kreuzt Cecilia Bartoli über der nackten Brust, dazu ein Blick, der zwischen lasziv, herausfordernd und todernst laviert. Sie meint es ja auch ernst. Über den gekreuzten Armen steht in handschriftähnlicher Typo „Farinelli“, der Name des wohl legendärsten Kastraten 196 . Bartoli gibt sich also als Mann, der selbst in Frauenrollen auftrat. Positioniert sie sich damit in Zeiten von Queerfeminismus und Genderdebatte? Auf jeden Fall macht sie auf das Spiel mit Geschlechterrollen aufmerksam.

  1. Jugendlich und kräftig zugleich, von überirdischer Schönheit sollen die Stimmen der Kastratensänger gewesen sein. Sie wurden in den Himmel gelobt, doch der Preis war hoch: Tausende sängerisch begabte Jungen wurden dafür vor dem Stimmbruch kastriert. Die grausame Praxis ist zum Glück nicht mehr erlaubt. Ehemalige Kastratenpartien werden heute mit Sängerknaben oder Countertenören besetzt. (AJ)



Farinelli. Der Mann, wegen dem die Frauen im 18. Jahrhundert reihenweise in Ohnmacht fielen – nicht nur wegen seiner schönen Stimme. Neun Jahre lang sang er jede Nacht für den spanischen König Philipp V. und soll damit sogar seine Depressionen geheilt haben. Viele der Heldenarien 102 auf Bartolis Album wurden Farinelli in die hinreißende Stimme komponiert, sogar von seinem Bruder. Lauter Virtuosen-Kaskaden! Der Wunderkastrat war wohl komplett anders timbriert als Bartoli, trotzdem stehen ihr die Arien. Zielsicher feuert sie die Koloratursalven 105 ab, unendlich scheint ihr Atem in „Vaghi amori, grazie amate“. Dazu eine beeindruckende Intensität: In „Morte con fiero aspetto“ angriffslustige Wut, in „Alto Giove“ radikale Traurigkeit. Die Mezzosopranistin zeigt einen gewaltigen Stimmumfang und klingt in der Tiefe zuweilen sehr kernig, fast männlich. Il Giardino Armonico, dirigiert von Giovanni Antonini, begleiten sie dabei mit wie gestochen scharfer Artikulation 22 , nur die Ritardandi wirken meist eine Spur zu fett aufgetragen.

  1. Der Ton macht die Musik. Falsch! Seltsames Sprichwort, denn eigentlich müsste es heißen: Die Artikulation macht die Musik. Es gibt mehrere Arten, Töne zum Klingen zu bringen: kurz – staccato, lang – tenuto, gebunden – legato, ultrakurz – staccatissimo und eine Mischung aus legato und staccato – portato. (CW)

  2. Wie sprechen, nur schöner: In der Oper unterhalten sich die Menschen singend. Während sie im Rezitativ versuchen, möglichst viel Handlung zu erzählen, dürfen Papageno, Carmen und Co. in der Arie ihren Gefühlen Luft machen. Herausgelöst aus der ursprünglichen Geschichte wurden diese Schmuckstücke manchmal berühmter als die Oper selbst. (AJ)

  3. Koloraturen sind was für Angeber – und gerade deshalb wunderschön. Diese oft unheimlich schnellen, schwierigen Melodie-Verzierungen geben den Sängern die Möglichkeit, ihr Können zu zeigen. Viele Komponisten haben sie ihren Lieblingen quasi auf den Leib geschrieben, was Profisänger noch heute schlaflose Nächte bereitet (AJ)



Das Verkleidungscover ist nicht neu, schon auf ihren letzten CDs fröhnte Cecilia Bartoli dem Verfremdungswahn und Geschlechterwechsel, entweder als glatzköpfiger Grusel-Priester („Mission“, 2018) oder geschlechtslose Marmorstatue („Sacrificium“, 2009). Das schafft den Eindruck, dass die Verkleidung weniger der Vermittlung als vielmehr der Vermarktung dient. Statt sich künstlerisch zu positionieren und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem wirklich wichtigen und immer noch unterrepräsentierten Thema anzuregen, geht es hier wieder einmal um Promotion. Das hat freilich auch seine Daseinsberechtigung, aber Cecilia Bartoli gar nicht nötig. Wenn so ein Star wie sie sich für ein Album mit diesem Programm, Titel und Cover entscheidet, dann bitte mit mehr Haltung.


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Nicola Porpora, Riccardo Broschi, Antonio Caldara, Geminiano Giacomelli, Johann Adolf Hasse

Farinelli

Cecilia Bartoli, Il Giardino Armonico, Giovanni Antonini

Decca

© Decca


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