Von Carsten Hinrichs, 03.03.2017

Oberflächlich betrachtet

Ein CD-Cover ist nur eine Momentaufnahme. Aber gerade deshalb kann man darin dem jeweiligen Zeitgeist im Umgang mit der Klassik so gut auf die Spur kommen.

Warum greife ich zwischen allen Brahms-Aufnahmen just nach dieser CD? Warum klicke ich beim Scrollen durch die Trefferliste ausgerechnet auf dieses Album? Häufiger als wir uns vielleicht eingestehen, ist das Cover mit im Spiel. Denn der Mensch ist in erster Linie ein Augentier. Das Cover ist der visuelle Reiz, der mich anlocken und auf das vorbereiten soll, was ich darauf hörend erfahren kann. Oder bewusst in die Irre leiten will, als Bild meine Erwartung erwidert, ohne dass der Inhalt das auch einlösen kann.

Fotografen und Gestalter haben seit jeher versucht, schon im Cover eine Aura einzufangen: mal die der Künstlerpersönlichkeit, mal die einer legendären Interpretation oder eines gewichtigen Werkes.

Das eigentliche Problem: Klang lässt sich gar nicht in Bild übersetzen, höchstens im Nachhinein an die Hörerfahrung andocken. Die Möglichkeiten zur Covergestaltung sind in Wirklichkeit also ziemlich beschränkt, mehr als Komponist, Interpret oder Illustration sind nicht drin. Aber gerade deshalb haben Fotografen und Gestalter seit jeher versucht, schon im Cover eine Aura einzufangen, mal die der Künstlerpersönlichkeit, mal die einer legendären Interpretation oder eines gewichtigen Werkes. Und sie haben dabei Konventionen mit eingeschrieben, die sich besonders in der Rückschau auf frühere Cover offenbaren.

Nun ist es keineswegs so, wie man vielleicht annehmen könnte, dass die ersten Schellack-Platten allein auf große Komponistennamen gesetzt hätten, im Gegenteil. So lange klassische Musik auf einer Basis allgemeiner Anerkennung aufbaute, ließ sich die Balance Komponist – Dirigent – Interpret bei jeder neuen Plattenausgabe neu justieren. So finden sich von der schnell legendär gewordenen Aufnahme von Mahlers „Lied von der Erde“, worin Bruno Walter am Pult der Wiener Philharmoniker die Altistin Kathleen Ferrier 1953 begleitete, mehrere Versionen. Eine frühe stellt mit einer chinesisch anmutenden Zeichnung das Setting der von Mahler vertonten Texte in den Mittelpunkt, eine weitere feiert die früh verstorbene Altistin, während eine dritte sie und den Mahler-Freund und -vorkämpfer Bruno Walter als gleichberechtigte Größen nebeneinander sieht.


Der leere Stuhl

Köpfe in schwarz-weiß verheißen jedoch schwere Kost und funktionieren nur, wenn der Käufer bereits weiß, was ihn unter diesen Namen erwartet. Daher werden Einsteiger und Neugierige lieber mit stimmungsvoller Naturfotografie oder Illustrationen geködert. Klassik zum Frühstück, Barockes zum Tafeln oder lässige Largos. Da spielen dann weder Komponist noch Interpret eine Rolle und rutschen an den Rand oder verschwinden gänzlich von der Hülle. Ähnlich gelagert ist der Fall, wenn es um Repertoireerweiterung am äußersten Rand geht: Ein Hörer, der dafür gewonnen werden soll, abseitige Klavierwerke wie Louis Moreau Gottschalks „Nacht in den Tropen“ erstmals kennenzulernen, darf für einen Probierpreis keine Stars erwarten. Wahrscheinlich sind ihm die Musiker ohnehin völlig schnuppe.

Im Segment „Atmosphäre“ fischt aber auch die übrigens hervorragende Aufnahme mit sinfonischen Highlights von Richard Wagner, dirigiert vom jungen Philippe Jordan. Hochgebirgsfelsen, Krähen und Nebel sorgen für unbestimmt mystische Stimmung, ganz ohne ein Interpretengesicht. Das ist sowohl was für Wagner-Fans wie neugierige Freunde sonst eher schwermetallischer Klänge. Im Fall des Brahms-Violinkonzerts mit Nathan Milstein ist das weniger gelungen. Hier drängt sich der Verdacht auf, es habe keine Zeit für ein ordentliches Shooting gegeben, oder Dirigent und Violinist waren heillos zerstritten nach den Aufnahmen: Da schlägt die Stunde des Platzhalters.

Andersherum kann natürlich auch ein Künstler alle anderen Inhalte an die Wand spielen, und wer könnte das besser als Herbert von Karajan, der Pionier medialer Vermarktung und Inbegriff des weihevollen Klassik-Maestros. Eine kleine Auswahl von Covern zeigt ihn beim Hochamt, im Falle der Wagner-Ouvertüren sogar mit Faltenwurf, wie er auf barocken Herrschergemälden üblich war.

Mit diesen Posen im Kopf wirkt es besonders verwunderlich, dass für eine kurze Zeit in den 70ern selbst bei Karajan der antihierarchische, familiäre Zeitgeist der Flower-Power-Jahre auf die Coverporträts durchschlägt. Keine Inszenierungen von Größe und Erhabenheit, dafür zeigen sich Musiker vermehrt in Aufnahmesituationen und werkstattartig in Hemdsärmeln. Doch der Schein trügt. Hier wird Understatement vom Feinsten inszeniert: Die Deutsche Grammophon, die 1969 Dvořáks Cellokonzert mit Rostropowitsch herausbrachte, stand so selbstverständlich für Qualität, dass sich die Musiker nahbar geben konnten, ohne die Aura einzubüßen.

Und natürlich macht auch die Mode nicht vor dem Cover halt, etwa in den gepflegten Scheitelfrisuren und Koteletten von Pinchas Zukerman und Daniel Barenboim, die 1974 die Violinsonaten von Johannes Brahms einspielten. Kein Grund, sich da geschmacklich wie zeitlich in weiter Ferne zu sehen, wie die aktuellen Alben von Klavierbarde Lubomyr Melnyk und Cembalist Jean Rondeau beweisen. Rondeau schlägt mit betont naturbelassenem Bart und Haupthaar auch einen Bogen zu zeitgeistigen Trends wie Nachhaltigkeit, Naturverbundenheit und Konsumverweigerung. Sein Bachspiel scheut hingegen allen Wildwuchs, gibt sich vielmehr sehr leidenschaftlich und höchst kultiviert.

Nicht nur Interpret und Komponist ringen auf dem Cover um Aufmerksamkeit, auch das Label muss sich positionieren. Dahinter stecken feine Abwägungen zwischen Markenkern und Produkt. Wenn große Labels kalkuliert Popklassik- oder Crossover-Alben veröffentlichen, tun sie das selten mit Kennzeichnung auf dem Cover. Erkennen lässt sich durch Größe und Position der Marke aber auch eine Trendwende in der Labelpolitik. Die Cover des polnischen Pianisten Rafał Blechacz von 2007, 2013 und zuletzt Anfang 2017 zeigen, dass mit dem neuem Chef Klavierrepertoire eine zentrale Position im Selbstverständnis der Marke „Deutsche Grammophon“ bekommen soll. Ein Vergleich mit den Covern der Karajan-Ära verstärkt den Eindruck: Hier geht es um eine geplante Rückkehr zu alter Größe – ganz wortwörtlich.

Diesem Bekenntnis gegenüber steht aber eine Entwicklung der letzten Jahre, die wahrscheinlich nur sehr schwer umzukehren sein dürfte: das Herausschälen des Musikers aus allen vermeintlich klassischen Bezügen mit dem Ziel, ihn mit den Strategien der Popvermarktung an den Mann zu bringen. Klassik wird dann von Leuten, die sie als inkompatibel mit jungem Lebensgefühl empfinden, zum Beispiel mit Jeans und E-Gitarren-Luftsprüngen „verjüngt“. Eine Mogelpackung – sollte man bei diesem Bild nicht zufällig gleich an barock-frühklassische Cellokonzerte gedacht haben.

Hero: © pexels/pixabay.com
Cover Ausschnitt © Universal Music


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