Kein Mensch wird um ihn herumkommen. In vier Jahren wird ihm jeder zuhören müssen. Und sei es nur der Acht-Takte-Schnipsel aus seiner neunten Sinfonie, dem Werbejingle der Europäischen Union, oder das Tongeschaukel e-dis-e-dis-e aus seiner Huldigung an Elise, das bis heute heranwachsende Klavierzöglinge und deren ohrenbetäubte Eltern in den sich ewig wiederholenden Wahnsinn zu treiben scheint. Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag naht, und seine Musik ist hartnäckig im kollektiven Gedächtnis verankert, wenn nicht sogar eingebrannt.
Mitte Juli diesen Jahres wurde in die Landesvertretung NRW in Berlin geladen, zur Auftaktpräsentation für das Jubiläum. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, sowohl der Bund, als auch das Land NRW sind daran beteiligt. Ungewöhnlich, Kultur ist eigentlich Ländersache, doch der Koalitionsvertrag macht‘s möglich: Die Bundesregierung hat Beethoven 2013 in diesen namentlich aufnehmen lassen, sein Jubiläum ist seither „eine nationale Aufgabe“, weil „der 250. Geburtstag herausragende Chancen für die Kulturnation Deutschland im In- und Ausland“ bietet. Beethoven ist der einzige Komponist, der es jemals namentlich dorthin geschafft hat, zwischen den Mindestlohn und die Energiewende. Das ist zwar verdächtig, aber dass es gerade ihn getroffen hat, ist nachvollziehbar. Wenn sich überhaupt jemand gegen Beethovens Einziehen in den Vertrag ausgesprochen hat, dürfte er am Verhandlungstisch zur Minderheit gezählt haben. Schließlich ist Beethoven der meistgespielte Komponist auf diesem Planeten. Ihn kennt jeder, ihn liebt jeder, jedenfalls tut Beethoven niemandem mehr weh. Zudem ist es ein Leichtes, ihn und seine Musik zu instrumentalisieren. Das hat eine lange Tradition.
Beethoven – für Völkerfreundschaft und Front
Dass Beethoven nun im Koalitionsvertrag steht, hat eine kurze Geschichte, aber eine lange Tradition. Und auch heute ist das Herbeizitieren nicht frei von Interessen. Stephan Eisel, ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzender der „Bürger für Beethoven“, dem Bonner Kulturverein, der sich bis heute mit der Rettung des dortigen Beethovenfestes rühmt und alle Jahre wieder einen siegelähnlichen Ring an Musiker vergibt (der Ring der Damen ist neben der 18-karätigen Grundausstattung und dem Beethovenrelief aus Palladium zusätzlich mit sechs Brillanten besetzt), ist stolz, dass es seine zwei Sätze in den Koalitionsvertrag geschafft haben. Das liegt einerseits an seinen Kontakten, die er bis heute in die Riegen der Kulturpolitik pflegt, andererseits ist er ein Getriebener, wenn es darum geht, korrigierend in die Geschichte einzugreifen und der ehemaligen Bundeshauptstadt zum Weltruhm zu verhelfen. Der Name Bonn soll nämlich im internationalen Interesse vor allem mit „einem assoziiert werden: mit der Geburt von Ludwig van Beethoven“. Das spricht vielen seiner Vereinsmitglieder aus dem Herzen, die neidisch auf Salzburg blicken, denen das Komponistenbranding mit ihrem Wolferl gelungen ist.
Diese lokalen Interessen, die auch der Bonner Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan bei der Pressekonferenz in Berlin beinahe peinlich überbetonte, stehen in krassem Kontrast zu den üblichen Floskeln, die Beethoven an diesem Tag und sonst für gewöhnlich provoziert: Beethoven der radikale Grenzüberschreiter, Beethoven der bedingungslose Humanist, Revolutionär. Kurzum: Beethoven das Geschenk, das eben allen Menschen auf dieser Welt gehört. Die Tradition um das Tauziehen geht weiter, Bonn gegen Wien, Lokalkolorit gegen Weltbürger. Bis hierhin hat sich wenig geändert. Auch das nigelnagelneue Logo „BTHVN2020“, das die „kulturelle Weltmarke“ Ludwig van Beethovens würdig visualisieren will, steht in einer Tradition. Eine durchdringende Verpopung des Komponisten, von Abziehbildern der Peanuts bis hin zur Hip-Hop-Version der Neunten, liegt ja auch schon länger im Trend. Der Jubiläumsschriftzug für 2020 entstand wiederum durch die Hamburger Kreativlinge Jung von Matt, die häufiger der Hochkultur zu frischem Aussehen verhelfen, beispielsweise mit der Dortmunder Konzerthausmilch, die von Kühen gewonnen wurde, die mit klassischen Klängen beschallt wurden. Das „BTHVN“-Logo jedenfalls wurde von einem Bonner Mäzen gesponsert. Es ist ein „Liquid Logo“, was meint, dass das Schriftzuginnere der vokalberaubten Komponistensignatur (laut Staatsministerin Monika Grütters habe Beethoven selbst ja bereits Partituren in „SMS-Signatur-Manier“ unterschrieben) von jedem auf dieser Welt mit eigenem Bildmaterial gefüllt werden könne. Die Rohdatei kann aus dem Internet „ganz einfach downgeloaded und gefüllt werden“ und soll so viral in den sozialen Medien für die adäquate Beethovenaufmerksamkeit sorgen. Freude! Beim „zeitgemäßen“ Denken in Internetregeln wurde lediglich von der Jubiläums GmbH vergessen, sich den Twitteraccount „BTHVN2020“ zu sichern, was ein unbekannter Nutzer nachholte mit dem Tweetzusatz: „Wir wollen ja niemanden blamieren, aber es lässt sich nicht vermeiden. #BTHVN2020“.
Bis hierhin sind die Vorbereitungen harmlos bis lustig, Inhaltliches wurde kaum preisgegeben, angeblich ist das Jubiläum auch größtenteils noch ungeplant. Nur die vier programmatischen Schwerpunkte wurden enthüllt: Neben der Festigung Bonns zur Geburtsstadt, Beethovens radikalem Künstlertum und seinen Sozialutopien lässt der letzte Punkt „Zukunft klassischer Musik“ stutzen und eröffnet einen Blick auf die Rädchen der Klassikmaschinerie. Natürlich rechtfertigt das gezielt die Finanzierung von Musikvermittlung für die Jüngsten, für die bekanntlich noch am ehesten Gelder locker gemacht werden. Darüberhinaus steht zu diesem Punkt geschrieben: „Projekte, die sich etwa mit zeitgemäßen Formen der Präsentation und Inszenierung klassischer Musik auseinander setzen“. Freude? Wohl kaum, kehrt es ja das komplette Dilemma nach außen. Man fürchtet seit Langem, dass sich die Relevanz der klassischen Musik verflüchtigt. 1970 hätte es Beethoven vielleicht gar nicht in den Koalitionsvertrag geschafft, weil es schlicht nicht nötig gewesen wäre, reichte damals noch der bildungsbürgerliche Fingerzeig, dass Haydn-Mozart-Beethoven einfach dazugehören. Beethoven im Koalitionsvertrag ist ein Indiz für den Relevanzverlust der klassischen Musik in der Öffentlichkeit. Monika Grütters antwortet auf die Frage, was es für Vorteile habe, Beethoven in den Vertrag aufzunehmen, knapp und deutlich: „Wir haben uns damit in der Koalition zur rechtzeitigen Vorbereitung verpflichtet und einen breiten Konsens geschaffen, um dieses Jubiläum als eine nationale Aufgabe zu gestalten“. Der Konsens musste erst geschaffen werden und alle sind damit eine Verpflichtung eingegangen, die nicht mehr selbstverständlich ist: den Schutz der klassischen Musik. Beethoven steht drin. Beethoven hat somit Relevanz.
So erschreckend dieser Befund, so wenig beleuchtet er die inhaltliche Seite, über die noch nichts bekannt ist außer Mutmaßungen: Das WDR-Sinfonieorchester überlegt nach internen Informationen, 2020 alle neun Sinfonien aufzuführen und auf Platte zu konservieren, und die Hamburger Elbphilharmonie, die diese Innovation mit Gustavo Dudamel und dem Orquesta Sinfónica Simón Bolívar bereits 2017 vorwegnehmen wird, will angeblich sogar das Gesamtwerk Beethovens auf die Bühne bringen. Freude?
Nachdem das #TeamBeethoven das neue Logo vorgestellt hatte, war es Zeit für Musik. Ok, jedenfalls fast. Tupac Mantilla, weltberühmter Percussionist, trommelte, klatschte und stampfte den Kassenschlager von Beethoven: die Fünfte.
Zu hoffen bleibt, dass die „Beethoven Jubiläums GmbH" und deren Entscheidungskomitee, von dem noch nicht klar ist, wer anhand welcher Kriterien bestimmen wird, wer finanzielle Unterstützung bekommen wird, anderes präsentieren will. Der Sinn dieses Gedenkjahres bietet tatsächlich „Chancen“, nämlich mehr zu sein als quantitative Beschallung auf höchstem musikalischem Niveau.
Wenn man einverstanden ist, dass Musik unter anderem ein Spiegel der Zeit sein kann und ex post Aussagen über die Vergangenheit auf sinnliche Weise sichtbar und spürbar macht, was eben zu Zeiten Beethovens, Napoleons und der deutschen Teilung in und mit den Menschen passierte, dann ist das umkehren. Welchen Beethoven brauchen wir?
Martin Geck schrieb 1989 in seinem Buch „Geschrieben auf Bonaparte“, das er mit Peter Schleunig verfasste: „Es muss ja nicht so bleiben, dass wir das Beethoven-Zimmer in unserem geistigen Elternhaus als Gedenkstätte konservieren, anstatt gründlich zu lüften und selbst einzuziehen“. Dieser Satz mutet wie ein überzeitliches Gesetz an. Es geht immer noch um uns, die wir überhaupt gewillt sein müssen, selbst einziehen zu wollen. In Zeiten der europäischen Exits, des Terrorismus, der Globalisierung, des Populismus liegt es sehr nahe, die humanistische Seite von Beethoven gezielt ins Zentrum zu rücken. Sicher ist das auch eine Vereinnahmung, eine Art der Interpretation von Beethoven. Aber vielleicht ist dafür ja die Zeit gekommen.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Interview ...