D, (E)S, C, H: Wie die leisen Luftzüge eines Menschen, der es kaum wagt zu atmen, erklingen diese vier Töne des Cellos und packen den Hörer, mit einem starken Gefühl der Beklommenheit. Er wird Beobachter einer düsteren Trümmerszene. Viola und Violinen steigen ein in das langsame Fugato, das am Anfang des c-Moll-Quartetts op. 110 von Dmitri Schostakowitsch steht. Es ist ein schwermütiges Werk, das sich das Aris Quartett für seine neue CD ausgesucht hat: Der Komponist verarbeitet darin seine Eindrücke des vom Krieg zerstörten Dresdens. Der Tod gibt bei dieser Musik den Ton an.
Bei Anna Katharina Wildermuth, Noémi Zipperling, Caspar Vinzens und Lukas Sieber ist es vor allem die große Übereinstimmung in ihrer dunkel flüsternden, fast heiser wirkenden Klangfarbe, die wie ein Sog wirkt. Man steht selbst plötzlich zwischen Ruinen, die einen mit Fassungslosigkeit erfüllen.
D, (E)S, C, H: Mit diesem Streichquartett, das wesentlich auf diesen vier Noten fußt, mehr als jede andere seiner Kompositionen, hat Schostakowitsch sich so etwas wie sein eigenes Requiem geschrieben. Er soll dazu gesagt haben, dass er aus Angst, niemand anderes würde nach seinem Tod ein Werk in Andenken an ihn komponieren, diese Aufgabe habe selbst übernehmen wollen. „Die Pseudotragik dieses Quartetts liegt darin, dass ich beim Komponieren so viele Tränen vergoss wie Urin nach einem halben Dutzend Bieren“, schrieb Schostakowitsch an einen Freund. Ernst singt das Aris Quartett dieses mit Seufzern durchzogene Klagelied.
Krasser und aggressiver könnte der Gegensatz dazu im zweiten Satz, einem elektrisierenden Allegro molto, kaum sein. Eine musikalische Hetzjagd beginnt. Die Panik von Verfolgten spiegelt sich im Spiel des Aris Quartetts wider. Da dürfen nicht nur die Saiten unter dem starken Bogenkontakt scheppern, auch die mit ihnen verbundenen Feinstimmer mischen sich mit rasselndem, metallenem Geräusch darunter, als würden Flüchtende und ihre Verfolger alles umstoßen, was sich ihnen in den Weg stellt.
Im finalen Largo lassen die Musiker Bilder von Rauchschwaden, die sich ganz langsam ins Nichts auflösen, entstehen. Sie erscheinen zum Greifen nah, fast riecht man den rußigen Duft der letzten Glut eines Feuers und spürt schwarze, stumpfe Kohlereste an den Händen. D, (E)S, C, H: Der Spuk ist vorbei, das Thema des Werkes hört sich nun viel ruhiger an. Mit langem Atem in der Phrasierung und schlichter Schönheit im Klang gelingt dem Aris Quartett der Abgesang auf das Drama. Als würde sich die Tür zu der großen Dunkelheit des Stückes für immer schließen.
Mühelose Charakterwechsel
Das zweite Werk der CD, Franz Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ in d-Moll D 810 ist ein weiterer absoluter Klassiker – auch hier liegt die Messlatte hoch. Doch die vier Musiker spielen das Stück erstaunlich unvoreingenommen, sie vollziehen die ständig vorkommenden Charakterwechsel innerhalb weniger Takte scheinbar mühelos, als würde ihnen die Musik, die sie da spielen, gerade selbst einfallen. Eine punktierte Halbe, eine Triole und eine Viertel: Das Thema des ersten Satzes ist unverwechselbar. Darin vibriert beim Aris Quartett eine unglaubliche Lebendigkeit und Hartnäckigkeit. Und dennoch kann das Andante con moto so weich und gesanglich daherkommen, als sei nichts gewesen. Mit Schubert stellen die Musiker der Endgültigkeit von Schostakowitschs Komposition ein Werk mit einer offeneren Herangehensweise an das Thema Tod gegenüber. Denn hier erklingt in so mancher lieblichen, gesanglichen Stelle sehr viel Hoffnung.
So begleitet man das Aris Quartett mit dieser CD durch alle Höhen und Tiefen zwischen Leben und Tod, bis hin zu dem, was danach sein könnte.