Von Jesper Klein, 24.09.2019

Straight Outta Lockenhaus

Das Kammermusikfest Lockenhaus verspricht Spontaneität und intime Musik in Reinform, in diesem Jahr mit ungarischen Komponisten. Kann man die Atmosphäre des besonderen Ortes im Burgenland auf einer CD einfangen? Eine Rezension.

Die rot-gelben Fensterläden der Burg gehören zu Lockenhaus genauso wie die Kammermusik 120 . Jedes Jahr trifft sich hier im Sommer ein kleiner Kreis namhafter Musiker und entwickelt aus Spiellaune heraus ein Festival. In einer süßen Ritterburg im Burgenland, unweit der ungarischen Grenze. In Lockenhaus ist alles etwas anders, vieles spontan, einiges chaotisch, oft kommt Besonderes dabei heraus. Hier hört man hochwertige Interpretationen, die mit Kommerz, bis auf wenige Ausnahmen, nichts am Hut haben. Der Cellist Nicolas Altstaedt übernahm im Jahr 2012 die Festivalleitung, er trat in die großen Fußstapfen des Geigers Gidon Kremer. Jetzt ist die erste CD zum Festival unter Altstaedts Führung erschienen. Mit Musik von zwei ungarischen Komponisten: Sandor Veress und Béla Bartók.

  1. Ursprünglich wurde sie tatsächlich in Kammern gespielt, nämlich in den Privaträumen von Fürsten und Königen. Deshalb spielen in Kammermusik-Werken nur wenige Musiker, zum Beispiel als Streichquartett, Bläseroktett o.ä., zusammen. Bürger des 19. Jahrhunderts entwickelten aus der höfischen Elitekunst ihre Hausmusik, wie z.B. die „Schubertiaden“, die im kleinsten Kreis vor ausgewähltem Publikum stattfanden. (AJ)



Es ist ein farbenreiches Stück in einer farbenreichen Interpretation: mal tänzerisch-verspielt, dann schrill, nahezu grotesk.

Freude an der Musik und der Begegnung, das ist es, was Lockenhaus bieten möchte. Klingt nach Hülsen, tatsächlich sind es aber nicht nur treffende Schlagworte für das Festival, sondern auch für die CD. Die reizvolle Repertoirezusammenstellung ist alles andere als Mainstream und bietet die gewünschten Begegnungen: Sándor Veress, ein Schüler von Béla Bartók, zählt zu den selten gespielten Komponisten. In der Generation zwischen seinem namhaften Lehrer und jüngeren, vermeintlich mehr Aufsehen erregenden Komponisten, etwa György Ligeti, geriet er in Vergessenheit.

Dabei ist sein Streichtrio 255 eine Einspielung allemal wert. Es ist ein farbenreiches Stück in einer farbenreichen Interpretation: mal tänzerisch-verspielt, dann schrill, nahezu grotesk. Vilde Frang, Lawrence Power und Nicolas Altstaedt tasten im ersten von zwei Sätzen zunächst vorsichtig, ja fragend nach den Klängen. Am Ende trifft eine blumig-verschnörkelte Melodie auf Pizzicati 76 und Glissandi 49 . Vilde Frangs Ton klingt dabei zart und delikat, Altstaedt entlockt dem Cello ungewohnte Färbungen. Das perkussive, groovende Allegro molto klingt zum Teil nach zeitgenössischer Musik, ruft in seinem scheinbar ziellosen Schwirren allerdings auch Alban Bergs „Lyrische Suite“ ins Gedächtnis. Veress schrieb auch zwölftönig 123 . Zum Abschluss Klopfgeräusche, die an Hufgetrappel erinnern. Eine Entdeckung!

  1. Weltraummusik! Ja, es ist Musik, die abhebt, die durch das Notensystem schliddert, wie Seife durch den Türschlitz. Es geht hierbei um die kontinuierliche Veränderung der Tonhöhe. Posaunen sind prädestiniert für das Geflirr. Aber auch Instrumente wie Flöten können das, da hört man aber den Übergang von Ton zu Ton. Ups. (CW)

  2. „Pizzicare“ bedeutet auf Deutsch „Zwicken“. Zum Glück geht´s nur um die Saiten, die beim Pizzicato mit den Fingern gezupft, statt mit dem Bogen gestrichen werden. Jazz-Kontrabassisten pizzen sich gern die Seele aus dem Leib. Aber auch in Oper und Konzert lockerte diese Technik schon immer die gestrichene Eintönigkeit auf. (AV)

  3. Zwölftonmusik entstand durch den Traum von der Gleichberechtigung aller Töne. Komponiert wird sie mit allen zwölf Tönen der chromatischen Tonleiter. Erst wenn jeder Ton einmal gespielt wurde, darf sich ein anderer wiederholen. So entstehen klirrende Dissonanzen und scheinbar planlos herumspringende Melodien, die noch heute die Ohren verwirren. Wer hat‘s erfunden? Ein Österreicher. (AJ)

  4. Drei Musiker spielen zusammen, schon sind sie ein Trio. Ob Klaviertrio mit Klavier, Geige und Cello – die wohl bekannteste Trio-Formation – oder drei Alphörner: Der Begriff Trio ist da recht flexibel. Neben der Besetzung benennt er auch die Werke an sich: Ein Klaviertrio spielt ein Klaviertrio. Verwirrend? Nicht wirklich. (AV)

„Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass Programmänderungen gemäß der Tradition beim Kammermusikfest Lockenhaus, dass Spontanes aus der Zusammensetzung der anwesenden Künstler vor Ort entstehen kann, möglich sind“

Internetauftritt des Kammermusikfestes Lockenhaus

Die Pfarrkirche in Lockenhaus

Béla Bartók ist zwar der weitaus bekanntere ungarische Komponist, warum es sein früh komponiertes Klavierquintett nicht in den Rang häufiger aufgeführter Kammermusik geschafft hat und stattdessen Raritätenstatus hat, bleibt aber ein Rätsel. Zumal das Festivalquintett mit Barnabas Kelemen, Katalin Kokas und Alexander Lonquich am Klavier beste Werbung für das Stück macht. Spätromantisch gesättigt und schwelgerisch der erste Satz, quirlig der zweite, der gute Laune bereitet. Das Finale entwickelt sich bald zu einer Jagd mit Anklängen an ungarische Volksmusik, bei der immer wieder mit der Zeit und dem teilweise rasanten Tempo gespielt wird. Das Ende drängt das Quintett dem Hörer unmissverständlich auf.

„Authentikos“ lautete das Motto des diesjährigen Festivals. Das klingt ein bisschen akademisch-verkopft und weist auf eine Schiene hin, die die Klassik-Marketing-Industrie nur allzu gern einschlägt. „Authentisch“ wird einem als viel besagtes und beschriebenes Schlüsselwort mittlerweile ja gerade zu um die Ohren gepfeffert! Nun ist die Kammermusik aus Lockenhaus, Authentizität hin oder her, in jedem Fall etwas Besonderes, so auch diese Aufnahme. Ohne Burgflair und rot-gelbe Fensterläden ist es zwar nicht ganz dasselbe (immerhin wurde Veress’ Streichtrio 2017 in der Pfarrkirche von Lockenhaus aufgenommen), als Variante für Zuhause kann diese CD aber große Freude bereiten.


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Sándor Veress, Béla Bartók

Veress/Bartók Streichtrio/Klavierquintett

Vilde Frang, Lawrence Power, Nicolas Altstaedt, Barnabas Kelemen, Katalin Kokas, Alexander Lonquich

Alpha

© Pixabay
© Pfarrkirche Lockenhaus: Jesper Klein


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