Von Konrad Bott, 13.05.2016

Liebevolle Ausnüchterung

Wenig Schmelz, viel Energie – Heinz Holligers Schumann erfrischt und hält auf Trab.

Zeitgenössische Komponisten lassen ja ab und zu mal durchblicken, welcher der alten Meister ihnen besonders am Herzen liegt. Filmkomponisten nennen dann häufig Gustav Mahler, Anton Bruckner und Richard Wagner, während die hochernsten Avantgardisten sich gerne bedeckt halten. Wer ganz schnell „Bach!“ ruft, macht sich zumindest keine Feinde. Heinz Holliger, Oboist, Dirigent, Komponist und musikalischer Tausendsassa, überrascht da ein wenig. Der humorvolle Schweizer mit dem wirren Haar liebt besonders Robert Schumanns Musik. Mit der CD „Robert Schumann – Complete Symphonic Works Vol. VI“ schließt Holliger seine Gesamteinspielung der sinfonischen Werke des tragischen Romantikers mit dem WDR-Sinfonieorchester ab. Das Programm: die bekannteren und weniger bekannten Ouvertüren Schumanns zusammen mit den zwei vollendeten Sätzen der „Zwickauer“ Sinfonie in g-Moll.

Eineinhalb Stunden steckt der Dirigent die romantischen Partituren in die Ausnüchterungszelle. Nicht aus musikwissenschaftlichem Sadismus, sondern aus Liebe zu den Noten – das merkt man. Wo andere gerne schwülstig im Moment verweilen, lässt Holliger das Orchester laufen, oder vielmehr fließen. Ein schlanker Strom mit der Frische eines Gletscherbachs. Insbesondere der zweite Satz der g-Moll-Sinfonie sprudelt munter auf den Hörer zu, mit seinem flexiblen Tempo eigentümlich nüchtern und lebendig zugleich. Es häuft sich kein Instrumentenmatsch, kein triefendes Klang-Sandwich wird serviert, selbst in den tragischsten Noten-Ballungszentren der „Manfred“-Ouvertüre.

Wo Akzente gesetzt werden, wird auch die hartnäckigste Schnarchnase aus dem Bett geschubst.

Über allem liegt eine gewisse Strenge, die aber – typisch Holliger – nicht dogmatisch wirkt. Ist es verwerflich zu sagen, man höre den Pädagogen im Dirigenten? Hier nicht, denn die herzliche Bestimmtheit, mit der vorgegangen wird, trägt schöne und volle Früchte. In „Julius Cäsar“ geht es schmissig und kraftvoll zur Sache, „Genoveva“ dagegen saust blitzend und blinkend dahin, wie ein Silberpfeil. Wo Akzente gesetzt werden, wird auch die hartnäckigste Schnarchnase aus dem Bett geschubst. Jeder Takt macht neugierig auf den nächsten, jede Kantilene wirkt frisch und sportlich, ohne zu hasten. Dass Schumanns sinfonischen Werke nicht nur etwas für romantische Schwelger sind, hat Holliger mit dieser Aufnahme ein für allemal klargestellt.

Sinfonie und Ouvertüren

Die „Zwickauer Sinfonie“ aus seinen Jugendjahren hatte Schumann nicht beendet, trotzdem zeigt sie die farbenprächtige, satte Tonsprache des Komponisten schon sehr deutlich. Die Ouvertüren, die den Hauptteil der Aufnahme ausmachen, stammen teils aus sinfonischen Dichtungen oder Opern, teils wurden sie zu selbstständigen Stücken oder waren schon als solche konzipiert. Dabei zeigt die Stoffwahl Schumanns Faible für wirklich tragische Figuren: Byrons „Manfred“ stirbt durch die Liebe zu seiner eigenen Schwester, und Goethes „Faust“ paktiert mit dem Teufel, um an das zu kommen, was er begehrt. „Genoveva“ wird (beinahe) trotz Treue und Ehrlichkeit geköpft, Schillers „Braut von Messina“ wird ihren Brüdern zum tödlichen Verhängnis und Shakespeares „Julius Caesar“ zum Opfer seiner eigenen Machtbesessenheit. Allein Goethes „Hermann und Dorothea“ haben nur für ihre unstandesgemäße Liebe zueinander einzustehen und kommen dabei im Vergleich zu den anderen (Anti-)Helden ganz gut weg.


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Robert Schumann

Complete Symphonic Works Vol. 6 (Manfred-Ouvertüre op. 115; Symphonie g-moll »Zwickauer«; Szenen aus Goethes Faust; Die Braut von Messina-Ouvertüre op. 100; Julius Caesar-Ouvertüre op. 128 u.a.)

WDR Sinfonieorchester Köln, Heinz Holliger

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