Von Anna Vogt, 07.04.2018

Print-Prunk

Dicker, „wertiger“, bunter: Derzeit werden die Spielzeitbroschüren für die nächste Saison gedruckt oder bereits zu Tausenden unters Volk gebracht. Dicke Wälzer, viel Papier, ein teurer Spaß für die Häuser. Was soll diese gigantische Ressourcen-Schlacht?

Der Frühling ist die Zeit der schweren Pakete: Im niusic-Büro kommen sie in Stapeln an, die Jahresbroschüren für die nächste Saison. Mit kunstvoll ausgestanzten Jahreszahlen etwa und ins hochwertige Papier eingeprägten Ornamenten (Sächsische Staatskapelle Dresden) oder 352 Seiten in Hardcover (Gewandhausorchester Leipzig). Sehr en vogue nicht nur in diesem Jahr: Papier-Banderolen, die das Spielzeitheft wie eine Schachtel Pralinen verheißungsvoll umschließen. Print ist sowas von nicht tot, wenn es um die Kulturinstitutionen dieses Landes geht. Spätestens nach Ablauf der Saison landen die meisten dieser Bücher allerdings im Müll, bei manch einem Klassik-Liebhaber mit Sammelinstinkt mit etwas Glück im Bücherregal. Die Opernhäuser und Orchester kostet diese Materialschlacht jährlich ein Vermögen, denn die Hefte und Bücher werden – als Werbung – gratis und in riesiger Zahl unters Volk gebracht. Die Einnahmen durch Anzeigen in den Heften können das wohl kaum auffangen. Ist dieser Print-Prunk in Zeiten der Ressourcen-Knappheit noch angemessen? Und wozu dient er in unserer heutigen digitalisierten Welt, in der alle Informationen auch online verfügbar sind?

Optik ist Statement, Selbst-Darstellung. Nirgends sieht man das so gut wie im Vergleich der beiden Vorschauen der Sächsischen Staatskapelle Dresden und der Bayerischen Staatsoper: Hier bewusste Dekadenz, High Class-Image, Gold auf einem schwarzen, dünn geriffelten Karton; dort der Eindruck eines work-in-progress, Leimbindung ohne Buchdeckel, Understatement außen und innen knallbunte Comic-Art neben düsteren Alten Meistern. Das Spielzeitheft ist die Möglichkeit, ein Image zu kreieren, sich abzusetzen von der Konkurrenz, Menschen suggestiv zu erreichen: über Bilder, eine Stimmung. Das Buch der Staatsoper München sticht im Stapel der Hochglanz-Broschüren daher mit seinem Understatement tatsächlich hervor. Es suggeriert Nahbarkeit und Coolness. Sogar, obwohl man in der Münchner Oper vermutlich auch in den Vorstellungen der nächsten Saison abends wieder schief angeschaut wird, wenn man sich in Jeans in die heiligen Hallen wagt. Dennoch: An den beiden Heften von München und Dresden lässt sich zugleich auch genau der Vorteil erkennen, den Print gegenüber dem Internet hat – die Haptik.

Die Saisonvorschau bietet für die flüchtigen Künste eine optische und greifbare Heimat.

Es ist diese Sinnlichkeit, die sich in verschiedenen Papiersorten, genau ausgewählten Formaten und Besonderheiten wie den Stanzungen, Prägungen und Druckarten offenbart, die das Spielzeitheft in der Hand von seinem downloadbaren digitalen Klon unterscheidet. Luxus? Ja. Umweltsünde? Auf jeden Fall! Aber der Print-Wahn ist gerade im Bereich der Orchester- und Opernszene auch verständlich. Handelt es sich bei diesen Metiers doch um die flüchtigsten der Künste. Neben der Spielstätte sind die Publikationen eines Orchesters oder Opernhauses das einzig Greifbare, Vorzeigbare, Beständige – zumindest zeitweise –, das diese Sparten vorweisen können. Denn ihre Kunst entsteht und vergeht im Augenblick ihrer Existenz. Und die Flut an Saisonvorschauen, die im Übrigen zahlreiche Mitarbeiter aus Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit jeden Frühling an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt, bietet eine optische und greifbare Heimat für diese flüchtige Kunst.

Berechtigung haben diese Hefte aber dennoch nur dann, wenn sie gelesen, befühlt, angeschaut, bewundert werden. Derzeit ist ein Großteil des altangestammten Publikums tatsächlich noch analog unterwegs und bezieht seine Informationen nicht (oder nicht nur) aus dem Internet: Für dieses Publikum sind die Spielzeithefte ein Recherche-Tool und eine Quelle der Vorfreude. Ob das allerdings in 10 oder 20 Jahren noch so sein wird oder aber die letzten Spielzeitkataloge dann als bloße Prestige-Objekte in den Foyers der Kulturtempel vor sich hinwelken, wird die Zukunft zeigen. Bis dahin: Genießen wir die Opulenz!

© Anna Vogt


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