Von Anna Chernomordik, 01.03.2017

Barocker Groove

Das große Weltwissen für alle verständlich aufbereitet: Im Erklärbär-Paradies YouTube funktioniert sogar Musikvermittlung. Durch die Vereinigung von Charts und Fugen entsteht wirklich elegantes Klassik-Crossover. Der Pop-Apfel fällt eben nicht weit vom Klassikstamm.

Die Titel der Videos sind trotz professioneller Farb- und Gesichtslosigkeit Clickbait für jeden Klassikhörer mit Populärmusikhintergrund.

Regelmäßig, nachvollziehbar, vielleicht vorhersehbar, aber nicht eintönig – die Fuge 47 . Nach festgesetzten Prinzipien folgt eine Stimme der anderen im komplexen Kanon. Johann Sebastian Bach hat dieser Gattung ein Denkmal gesetzt, aber schon zu seiner Zeit waren Fugen antiquarische Lehrstücke. Die „Kunst der Fuge“, sein letztes Werk, blieb unvollendet, aber war vollendet in seinem Können. Der italienische Musiklehrer Giovanni Dettori sorgt jetzt dafür, dass die Fuge posthum ihren Platz in den Köpfen und der Timeline bekommt.

  1. Was für eine barocke Rollenverteilung! Der Dux schreitet ins Stück, er übernimmt die Führung, bis der Comes sein Thema aufnimmt und sich mit der vorgestellten Melodie unter ihn schichtet, während der Dux fortfährt. Beide können nicht ohne einander und nähren sich vom anderen. (CW)

Die Titel seiner Videos sind trotz professioneller Farb- und Gesichtslosigkeit Clickbait für jeden Klassikhörer mit Populärmusikhintergrund. „Lady Gaga Fugue“: Man klickt drauf, und aus wenigen sich wiederholenden Tönen von „Bad Romance“ (bei Gaga lautet der Text „Ra-a-a-a-a-“) entsteht eine barocke Welt über drei Minuten. Die Fuge ging um wie eine Krankheit, wurde bei den BBC Proms gespielt. Auf YouTube gibt es neben Versionen für Orgel und Cembalo auch welche für Blas- und Streichorchester oder gar Streichquatett und Vokalquartett für all diejenigen unter uns, für die Klaviergedudel der reinste Horror ist.

Die Kunst des Kontrapunkts

Darf´s etwas Aktuelleres sein? Auch Adeles „Hello“ rattert durch die Fugenmaschinerie. Kontrapunkt und Thema verhalten sich zueinander wie ein streitendes Ehepaar: Dasselbe meinen, aber aus Prinzip das Gegenteil sagen. Beim „Britney Spears Counterpoint“ ist die Einsamkeit der Sängerin das Thema, eine Mischung aus „Hit Me Baby One More Time“ und „Oops I (Did It Again)“. Da der passende Text immer mitläuft, kann man mitverfolgen, wie sich „did it again“ in den Abgrund sequenziert.



Und wenn sich Dettori Miley Cyrus vorknöpft, dann bekommt ihr Song „Wrecking Ball“, und damit auch ihr Coming-Out als „Bad Girl“, eine Schubert´sche Melancholie, die man dem Original gar nicht zugetraut hätte.



So charismatisch und genial ihr Verfasser ist – Glenn Goulds „So You Want To Write A Fugue“ mit ihrem biederen Charme kann da nicht mithalten. Auf YouTube findet sich heute eine ganze Szene, die der Fuge in dieser anachronistischen, aber dafür ganz unpeinlichen Klassik-Crossover Art huldigt. Der antiquarische Staub klebt zwar noch an den meisten Fugen, aber Vintage ist ja gerade in Mode.

© Anna Chernomordik/Justus Pfeifer, Originalgemälde: Wikimedia Commons
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