Von Christopher Warmuth, 08.12.2016

Bügelmusik

„Crossover“ war einst die Hoffnung der angeblich aussterbenden Klassik. Mittlerweile ist daraus eine ganze Szene entstanden. Ein Gespräch mit Sven Schuhmann und Marcus Heinicke vom Label Edel:Kultur.

Die Rahmenbedingungen sind auf jeden Fall hip! Die Arbeitsräume des Labels „Edel:Kultur“ in Berlin muten eher wie die eines frischen Bio-Suppen-Startups an. Gefühlt sitzen die schönen Mitarbeiter vor ihren schönen Laptops mit ihren schönen weißen Schuhen. Die sogenannten „Neuen Meister“, so der Name einer CD-Reihe, sollen für das Label das Uraufführungsgeschäft ankurbeln, allerdings nicht im Sinne von Donaueschingen & Co., denn „es geht nicht darum, einen intellektuellen Diskurs über abstrakte Strukturen mit anderen Komponisten zu führen“, wie es da geschrieben steht, sondern: „Die ‚Neuen Meister‘ trauen sich Gefühle zu“.

Ich jedenfalls hatte eine Cover-Kritik über eine Platte geschrieben, die man als Verriss bezeichnen kann. Als ich in besagtes schönes Büro zu besagten schönen Menschen mit besagten schönen weißen Schuhen eintrete und mein Name fällt, kommt man schnell auf den Artikel zu sprechen. Die Stimmung fällt um wenige Grad ab, begeistert war man nicht gerade gewesen, das zu lesen. Vielleicht ist das ja gut, denn so wird der perfekte Rahmen für eine zivilisierte Diskussion mit Sven Schuhmann und Marcus Heinicke gesteckt, die beim Label Edel:Kultur für die „Neuen Meister“ verantwortlich sind.

Christopher: Ich habe mir heute nochmal die CD von Baranova angehört. Diese Mischung aus Minimal Music, barocken Strukturen und Improvisation ist nett, aber sie beginnt mich relativ schnell zu langweilen.

Marcus: (lacht) Ja, ich erinnere mich. Das Album hat ja mehrere Ordnungskriterien. Es hat einen Suiten-Charakter, dass man Dinge zusammenstellt, die nicht zusammengehören, aber dann trotzdem wieder passen. Und es sind vier Komponisten, vier Originale, mit denen Marina dann etwas gemacht hat. Wir wollten es so behandeln wie Kadenzen oder Variationen im Barock. Andere Teile sind deshalb stärker improvisiert. Sie stehen aber immer im Dialog mit der ursprünglichen Musik.



Christopher: Für mich hören sich solche „Reworked“-Sachen immer so an, als hätte man am liebsten altes Repertoire aufnehmen wollen, hat es aber gelassen, weil man schon genug Aufnahmen davon hat und deshalb schraubt man dann einfach mal an der Komposition …

Marcus: Das könnte man so sagen. Andererseits ist es vor allem die Originalität und Ernsthaftigkeit, die entscheidet. Man braucht eine Idee.

Christopher: Baranova ist aber kein Remix …

Marcus: Noch nicht. Aber da arbeiten wir gerade dran. Die Aufnahmen werden jetzt in einer zweiten Runde von DJs, Produzenten und Komponisten wieder genommen und nochmal bearbeitet. Das ist ein ernsthafterer Umgang mit dem musikalischen Material, als es bei Remix-Projekten normalerweise der Fall ist.

Christopher: „Ernsthaft“ scheint da ein Schlüsselwort zu sein, weil die anderen sagen, dass es einfach nur platt ist.

Sven: Das Problem der Klassik ist, dass es an Differenzierung fehlt. Nicht alles außerhalb von Donaueschingen und Darmstadt ist Crossover. Wir arbeiten daran, dieses Denken aufzubrechen. Es gibt einfach unterschiedliche Qualitäten. Darüber sollte man sprechen. Die „Crossover“-Diskussion haben wir überwunden ...

Christopher: „Überwunden“ hört sich nach Wunden an. Eure Arbeit scheint ziemlich schmerzhaft zu sein.

Sven: (lacht) Es kommt drauf an, wo man sich positionieren will. Das klassische Feuilleton ignoriert unsere Musik momentan zwar noch, nicht aber die relevanten Blogs. In Berlin hat man es ja relativ einfach. Da kann man krudes Orgelzeug in einer Kirche machen, und die ist drei Tage hintereinander ausverkauft.

Christopher: Berlin habt ihr. Wen wollt ihr noch erreichen?

Sven: Das ist projektweise verschieden. Wir haben eine große Bandbreite, vom großen Orchester über Orgelkompositionen bis zur Live-Elektronik. Das ist auch der Vorteil – unsere Hörer reichen vom klassischen Publikum bis zur Indie-Generation.

Christopher: Wenn ihr aber unter dem Stichwort „Neue Meister“ eine neue Schule der Komposition etablieren wollt, dann steckt man das automatisch in eine Schublade.

Sven: Ich glaube, wir sind eher wie eine große PR Agentur. Die verschiedenen „Schulen“ gibt es bereits. Zugegeben – es ist nicht einfach, diese verschiedenen Strömungen zu erfassen. Das Spektrum von Christian Jost bis zu Johannes Motschmann ist extrem weit. Das Tolle ist, dass es da viele Geschichten zu erzählen gibt. Motschmann schreibt für das Ensemble Modern, Jost wird in Wien aufgeführt …



Christopher: Gehört ein Dissens unter Komponisten nicht zum Geschäft?

Sven: Du meinst zwischen den etablierten Größen in den Jurys deutscher Festivals, Unis oder Fördereinrichtungen und den Komponisten der Reihe „Neue Meister“? Ja, aber die Szene öffnet sich. Motschmann kommt ja aus diesem System, Jost hat den Siemenspreis gewonnen. Aber nicht für ihre Projekte bei uns. Es gibt ein Problem im hiesigen Fördersystem, das man auch in den Musikhochschulen sieht. Da wird einfach vieles von Alt-68-Theorien bestimmt, und es entscheidet auch diese Generation, wer ein Stipendium bekommt und wer nicht. Die Komponistenszene in Deutschland ist hochgradig normiert, nach ästhetischen Vorstellungen, die in Institutionen gegossen ist.

Christopher: Weil euren Künstlern und Komponisten das philosophische Fundament fehlt?

Sven: Theoretisch wird diese neue Generation von Philosophen wie Martin Seel oder Gernot Böhme unterfüttert, bei denen es um das sinnliche Erleben geht. Und nur weil Tonalität nicht mehr grundsätzlich tabu ist, ist die Musik nicht redundant.

Marcus: Das geht auch in den Musikredaktionen der Öffentlich-Rechtlichen so. Da gibt es einfach ein Problem mit der Einteilung der Musik in verschiedene Zuständigkeitsbereiche: Neue Musik, Sinfonik, Kammermusik, Alte Musik. Und zum Beispiel bei der Neuen Musik, da wird Arvo Pärt ja nicht stattfinden, weil er nicht in die Schublade passt. Das ist nicht das Problem dieser Musik, sondern ein Problem der Institutionen.

Christopher: Gut, aber Arvo Pärt neben Bernd Alois Zimmermann laufen zu lassen, funktioniert auch etwas schwer.

Sven: Du meinst, dass eine sei komplex und das andere nicht?

Christopher: Das eine ist schwer zugänglich und das andere eher gefällig …

Sven: Zugespitzt meint das ja, dass wir die Musik dem Kommerz freigeben würden. Tatsächlich herrscht beispielsweise bei Motschmann eine enorme Komplexität. Da gibt es unterschiedliche Rhythmen, die hochkomplex gegeneinander laufen. Die Art, wie er Elektronik komponiert, ist übrigens die gleiche, die er auch für Orchester anwendet.

Christopher: Das ist dann wieder der Minimal-Music-Aspekt mit ewigen Loops?

Sven: Nein, das ist es nicht. Johannes Motschmann würde dir vermutlich entgegnen, dass es im Grunde eher mit Gustav Mahler oder mit Richard Wagner zu vergleichen ist.

Christopher: Ist das nicht vielleicht eine Erklärung dafür, dass das nicht ernst genommen wird? Richard Wagner hat mehrere Jahre tagein, tagaus mit seinen Leitmotiven gekämpft. Wenn jetzt Motschmann sagt, dass er im Stile Wagners komponiert, dann klingt das ziemlich anmaßend.

Marcus: Naja, nicht jede Mozart-Sinfonie hat Jahre gebraucht …

Christopher: Stimmt. Der Vergleich war aber Wagner.

Marcus: Bei Wagner gibt es Gesang, und er hat auch den Text geschrieben. Das ist ein großangelegtes Gesamtkunstwerk. Und vielleicht arbeitet Motschmann auch mehrere Jahre daran, obwohl es dann „nur“ für eine mittlere sinfonische Besetzung ist. Der quantitative Faktor ist kein Qualitätsmerkmal.

Christopher: Wenn ich mir Musik von den „Neuen Meistern“ anhöre, dann ist das für mich Hintergrundmusik, anders als bei Wagner.

Sven: Das liegt aber nicht an der Musik. Denn, das wäre jetzt auch eine These, Musik wird per se in Situationen des realen Lebens konsumiert, sei es beim Schlafen, beim Joggen oder beim Bügeln. Oder man hört eben so, dass man etwas strukturell nachvollziehen will. Wenn Musik nicht zur kognitiven Anregung verwendet wird, dann eben zum Chill-Out. Wenn wir jetzt an Spotify denken – und das ist eine enorme Zielgruppe –, dann ist Nils Frahm da vor allem so erfolgreich, weil er tatsächlich gut im Hintergrund laufen kann.

Christopher: Aber das Feld ist doch schon mit Pop-Musik besetzt. Ich meine das nicht als Kampfbegriff, aber es gibt doch schon so viel Musik, die gut im Hintergrund funktioniert. Ich will aber das andere. Und das muss kein Konzert im Vorlesungs-Stil sein, ich höre halt nur keine Musik zum Bügeln. Zu Musik kann ich meistens auch nicht lesen, ich will da voll konzentriert sein. Da mache ich halt nur eine Sache, aber die richtig.

Sven: Es gibt viel Musik, die gut im Hintergrund funktioniert, auch von Bach oder Mozart. Würden wir nur auf Chill-Out Playlists gehen, dann wären wir ein Minimal Piano Label. Wir produzieren Musik, die beides kann, die man im Hintergrund hören kann, aber eben auch bewusst.



In der folgenden Spotify-Playliste findet ihr einen Querschnitt durch die letzten Veröffentlichungen von Edel:Kultur.



© Screenshot Website NEUE MEISTER


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