Von Konrad Bott, 09.11.2016

Eva muss weg!

Peter Eötvös` „Paradise Reloaded (Lilith)“ findet seinen Weg auf CD und funktioniert dabei genau so gut wie auf der Bühne.

Liebestolle Koketterie gibt`s hier nicht.

Ist die Oper ein totes Genre? Ein Zombie des Musikbetriebs, dem am besten mit einem Gnadenschuss in den muffigen Schädel geholfen wäre? Ein klares „Nein!“ hierzu kommt seit einigen Jahren immer wieder von Peter Eötvös. Der gebürtige Ungar hat als zeitgenössischer Komponist schon so einige Musiktheater-Kompositionen 137 aus der Taufe gehoben. „Paradise Reloaded (Lilith)“ wurde 2013 uraufgeführt und jetzt erstmals eingespielt. Zwölf Szenen in überschaubaren eineinhalb Stunden. Thema: die Entstehung und das Schicksal des Menschen. „Oh Gott, hör auf, ich guck mir lieber ‚Wicked‘ an!", mag da manch einer sagen. Aber das würde ich mir nochmal überlegen, denn was der Meister aus diesem unendlich gravitätischen Sujet rausfräst, wird nicht einen Notenwert lang öde. Liebestolle Koketterie oder bis zur Unglaubwürdigkeit wiederholte Racheschwüre gibt`s hier nicht.

  1. Singspiel, Oper, Melodram, Musical – das Auge hört überall mit! Denn Musik und Theater passen doch herrlich zusammen, oder? Dabei ist heute die Inszenierung die halbe Miete - wenn nicht mehr. Pappmaché-Burgen und Reifröcke werden von bedeutungsschwangeren Videoinstallationen abgelöst. Regisseure toben sich aus und geraten ins Fadenkreuz der Kritik, während Dirigenten sich in die Musik vergraben. Eine quirlige Welt mit viel Show&Shine! (KB)

Wer ist eigentlich Lilith?

Peter Eötvös

Vielleicht funktioniert „Paradise Reloaded" deshalb so gut auf CD, weil Eötvös die Musik komplett in den Dienst der Handlung stellt. Damit wird auf erstaunlich einfache Weise verständlich, was vor sich geht – ganz ohne Bühne:
Peter Eötvös und Librettist 118 Albert Ostermaier lassen Lilith ins Paradies zurückkehren. Mithilfe des alten Rebellen und Ex-Engels Lucifer hofft sie, Adam zurückgewinnen und Eva ermorden zu können. Lucifer möchte das Paradies-Pärchen indessen auf eine Traumreise durch die Zukunft der Menschheit schicken. Er hofft, dass die beiden Angesichts des globalen Leidens verzweifeln und sich von Gott abwenden. Letztendlich schwängert Adam sowohl Lilith, als auch Eva und wird von letzterer überzeugt, im Paradies zu bleiben. Und das, obwohl ihn die Greueltaten seiner baldigen Kinder fast Reißaus hätten nehmen lassen. Lucifer, ermüdet vom Kampf um seine Abnabelung, wendet sich wieder Gott zu. Lilith bleibt alleingelassen zurück, mit Adams Kind im Bauch und weiß plötzlich nicht mehr, wohin mit sich.

  1. Bizets „Carmen“, Verdis „La traviata“. Die berühmten Opern nennen wir in einem Atemzug mit ihren Komponisten. Aber wer schrieb eigentlich das Textbuch, das sogenannte Libretto, dazu? Von den Librettisten sind heute nur wenige Große geläufig, wie zum Beispiel Mozarts Textdichter Lorenzo da Ponte. Ausnahme: das Multitalent Richard Wagner. Der dichtete die Texte zu seinen Opern selbst. (AJ)



Wehrlos wird man am roten Faden vorwärts gezogen.

Was hört man da? Eine Musik, die ausdrucksstärker nicht sein könnte. Das Hungarian Radio Symphony Orchestra unter Gregory Vajda leistet Beachtliches. Auf den scharfen Kanten der Komposition balancieren die Protagonisten, ständiger Verführung ausgesetzt. Eine beklemmende Bilderreihe, an deren rotem Faden man wehrlos vorwärts gezogen wird. Evas hausfräuliche Gutmütigkeit, Liliths stolzer Eigensinn, Lucifers grimmige Intrigen und Adams Ratlosigkeit – alles findet Platz, wird in die Szenen geschleudert und dort kunstvoll verschmiert: tonale Süße, unberechenbare Intervallsprünge, unerbittlich scharfe Schlagwerk-Ausbrüche und um sich selbst kreisende Akkordfolgen 9 . Die Konstellation der Personen, ihrer Gefühle und (Re-)Aktionen bestimmen den Anteil der dunklen, hellen, schrägen, geraden, messerscharfen und kuschelweichen Elemente in jeder Szene aufs Neue. Ein Quer-, und Längsschnitt durch Charaktere, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Gleichzeitig aber ein Fingerzeig auf die Zweifel und Hoffnungen, die in jedem von ihnen stecken – und damit auch in uns, Evas Kindern, Liliths Kindern. Diesen Wesen, die sich in ihrem Dualismus selbst kaum verstehen.

  1. Was für orgiastische Zustände: Mindestens drei Töne gleichzeitig bilden einen Akkord, Ausnahmen bestätigen die Regel. Tri-tra-trullala, das ist der Durakkord. Die Familie der Akkorde ist groß: Quartsextakkord, Septnonakkord und verminderter Akkord.Viel Spaß beim Rätseln. (CW)




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Peter Eötvös

Paradise Reloaded (Lilith)

Hungarian Symphony Orchestra, Gregory Vajda, Annette Schönmüller (Lilith), Holger Falk (Lucifer), Eric Stoklossa (Adam), Rebecca Nelsen (Eva)

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