Von Max Rosenthal, 21.11.2017

Klassik wie bei MTV?

Schon damals im Kunstlied zeigte sich: Die Verbindung zweier Medien kann sich für beide befruchtend entwickeln. Das Festival B Classic modernisiert diese Idee für die digitale Welt – was dann doch ziemlich kurios scheitert.

Das digitale Zeitalter ist eine Herausforderung für die Kultur-Branche, ganz klar. Künstlertantiemen werden bedroht durch Streamingdienste und illegale Kopien, Orchester werden überflüssig durch täuschend echte Klangdatenbanken, der Print-Journalismus bekommt Konkurrenz durch das frei verfügbare Medium Internet.
Aber das Netz bietet auch eine Chance. Endlich, endlich kann ich mir von meiner Wohnzimmercouch ansehen, wie zum Finale von Tschaikowskis Vierter Sinfonie schlecht animierte braune und weiße Pferde eine Blutfehde ausfechten und schließlich ein Einhorn einen Drachen im Zweikampf niederringt. Klingt komisch? Ist aber so. Und sieht aus wie folgt:



Dieses animierte Meisterwerk gehört zu den Finalisten eines Wettbewerbs, des Classical Comeback Award. Den hat das belgische Klassikfestival B Classic ins Leben gerufen. Die Finalisten stellt das Festival auch auf seinem YouTube-Channel aus. Das Ziel des Wettbewerbs? Kann man in der Beschreibung der Veranstalter auf ihrer Website nachlesen: Klassik soll (mal) wieder attraktiver für die jüngere Bevölkerung werden. Indem die Wettbewerbsteilnehmer einem klassischen Stück ein Musikvideo auf den Leib schneidern, soll die Klassik der Pop- und Rockmusik endlich Auge in Auge gegenüberstehen können. Allerdings gerät diese Verbindung von Bild und Musik zu einem rätselhaften Amalgam, denn die Bestandteile passen teilweise zusammen wie Faust auf Eimer oder Arsch auf Auge.

Tschaikowski mit Plastikpferden und Drachen ist entweder eine geniale Überspitzung von Tschaikowskis märchenhaft militärischem Pomp – oder aber einfach nur merkwürdig. Zugegeben, der Wettbewerbssieger verfolgt einen einigermaßen interessanten Ansatz. Die unzusammenhängenden Bilder zum Adagietto von Mahlers Fünfter Sinfonie, so könnte man beispielsweise interpretieren, versuchen die Einsamkeit des Mahlerschen Subjekts in der Welt zu erfassen. Und ebenso flüchtig wie die an einer Stelle gezeigte Motte (2:26) sind sie ja, diese schönen langsamen Sätze in Mahlers Sinfonien, die sich plötzlich bis auf die Seele entblättern, wie die Frau im Video (1:16)



Leider aber, muss man sagen, wurde hier, wie auch in allen anderen Videos, die Musik gekürzt. Damit sie in Musikvideolänge – oder, um einen der User-Kommentare zu zitieren, „Klingeltonlänge“ – die Aufmerksamkeitsspanne des durchschnittlichen Digital Native bespielen kann. Naja, und dann sind da neben Mahler eben auch die wackelnden Hintern asiatischer Tänzerinnen zu Dvořáks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“. Klingt komisch? Ist ebenfalls wahr:



Da hilft die beste Schönrednerei auf der Website nichts, von wegen Asien sei die Neue Welt der Gegenwart (was übrigens auch übel eurozentristisch ist). Die Performance gibt sich nicht mal die Mühe, außer dem Rhythmus irgendwas mit der Musik zu tun zu haben. Da stößt es gleich doppelt sauer auf, dass unter den Videos clickbaitmäßig „Official Music Video“ steht. Ohne das belegen zu können: Dvořák hätte vermutlich eher die Partitur verbrannt, als dieses Video zu autorisieren. Das schreit vor allem: Friss mich, ich bin lecker!

Noch einmal zurück auf die ernste Ebene: Ja, die Klassik hat vermutlich eine Medienreform nötig. Und ja, man sollte weiterhin versuchen, kreative Wege zu finden, neues Publikum anzusprechen und Menschen aufzuklären. Aber nicht, indem man Klassik rein als jene Unterhaltung in Konsumhäppchen inszeniert, von der sie sich durch ihren intellektuellen Mehrwert abhebt. Den sollte man erklären, statt ihn abzuflachen.


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