Von Christopher Warmuth, 14.12.2016

Die dreckige Wiebke

„Dreckig“ ist das Adjektiv, das Wiebke Lehmkuhl am häufigsten benutzt, wenn sie über ihre Musikauswahl spricht. Nichts ist weichgespült oder glattgebügelt. In ihrer Spotify-Playlist lernt man die Altistin kennen!

Diese Spotify-Liste hat Wiebke Lehmkuhl für niusic zusammengestellt. Sie war Feuer und Flamme für die Idee, haderte nicht und kombinierte ihre persönlichen Lieblingsmusiken in einer Auswahl, die alles bietet, nur keinen Stillstand. Einfach Musik anknipsen und ihren Kommentaren folgen:



Wiebke sollte in einer Bar auflegen, alles, einmal bunt gemischt. Das wäre einer der angesagtesten Schuppen der Republik!

„Dit is Berlin, wa?“, fragt Wiebke. „oh Boy“ von „Get Well Soon“ unterlegt den gleichnamigen Film, in den sie sich in einem Hauptstadtkino verliebte. Die Musik ist lässig, frönt der absoluten Coolness und hat auch etwas Schmuddeliges. Das ist der perfekte Soundtrack fürs Leben, wenn man Freunde umarmen will, die man lange nicht gesehen hat. Ohne Freunde, aber mit viel Naturassoziationen gehts weiter: „Ich war zwar noch nie in Finnland, aber bei Pekka Pohjola träume ich von nördlichen Gefilden“. Assoziative Melodien werden von schweren Akkorden durchbrochen, es hört sich an wie ein Gedächtnisstrom, der keine klare Linie finden will. Danach braucht Wiebke Lehmkuhl musikalische Medizin. „Der zweite Satz aus Johann Sebastian Bachs Doppelkonzert ist so pur, so wunderschön, so ruhig schreitend, dass mein Körper darauf sehr stark reagiert. Ich will mitatmen, mitsehnen und dann muss ich lächeln“. Und scheinbar hat sie dann die Melancholie gepackt. Gasparinis Arie „Dolce mio ben" ist von einem Vorbild aufgenommen worden: „Ich bewundere Maite total. Sie hat an der Hamburger Staatsoper gesungen, als ich noch studiert habe, und wir waren bei der gleichen Lehrerin. In ihrer Stimme liegen so viel Wärme, Ehrlichkeit und etwas unheimlich Tröstliches.“ Und weil wir schon bei Idolen sind: Anne Sofie von Otter ist für Wiebke eine der größten Sängerinnen unserer Zeit. „Ich habe nur durch das Hören ihrer Interpretation unendlich viel gelernt. Sie hat einen untrüglichen Instinkt für den jeweiligen Stil, eine unverwechselbare Stimme und ist technisch so großartig, dass sie musikalisch einfach alles machen kann, was sie will. Das ist so cool!“ Dabei verwirrt die Auswahl des Stückes, keine Klassik, sondern ein Cover gibt von Otter zum Besten. Aber das ist auch die einzige Crossover-Sängerin, die Wiebke akzeptiert!

Jetzt wird es dreckig! „Seufz! Eine alte, fortwährende Liebe von mir. Tom Waits ist einfach unglaublich! Diese Brüchigkeit, dieses Rasseln und die Rauheit seiner Stimme berühren mich fast schon beängstigend tiefgründig.“ Da wirkt auf jeden Fall nichts geplant, alles ist unmittelbar. Aber bevor man sich jetzt zu sehr einkuschelt, wechselt es zur absoluten Party. „Die Moloko-Lady Róisín Murphy ist der Knaller! Tief, dreckig, kraftvoll, cool, und sie liebt das Experiment. Am liebsten höre ich das nach Proben. Das ist das perfekte Kontrastprogramm“, sagt Wiebke. Und im Tanzschritt geht´s auch weiter. Nick Waterhouse startet ein Wettrennen mit den Saxofonröhren. „Ich kann mich da fast nicht für einen Titel entscheiden. Alles wirkt wie aus einer anderen Zeit: Rock´n´Roll, Blues, mit ner ordentlichen Patina. Mein persönlicher Tipp: Das ist die beste Kofferpackmusik!“ Und wenn Wiebke dann im Hotel geweckt werden muss, dröhnt Jamie Lidell aus den Boxen. Da kann der Tag ja nur gut werden! „Das ist die pure morgendliche Energie. Irgendwie fühle ich mich ziemlich cool, wenn ich diese Musik höre. Diese funkigen Rhythmen und die Electro-Elemente lösen ein krasses Selbstbewusstsein aus“.

Wiebke Lehmkuhl hat schon einmal gestohlen! „Dave Brubeck hab´ ich meinem Vater aus dem Schrank geklaut. Das ist Musik, die man wirklich immer hören kann. Unsere kleine Tochter wurde schon oft im 5er- oder im 7er-Takt durch die Wohnung geschuckelt“, sagt Wiebke. Sind wir gespannt, was für ein trippelndes Rhythmuswunder aus ihr wird! Vielleicht wählt sie auch einmal einen so ungewöhnlichen Titel für eine Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule wie ihre Mutter: Nina Simone mit „My Baby Just Cares For Me“ hatte sie damals bestehen lassen. Da soll mal einer sagen, klassische Musiker seien monothematisch unterwegs. Gut, Björk lieben viele Klassikfans auch, ihre Stimme wirbt gerne um das Klassikpublikum. Aber warum eigentlich? „Sie ist einfach eine Radikal-Individualistin und Alles-Könnerin. Vor allem ist sie streitbar, kein rein eingängiger Pop. Ich mag nicht alles von ihr, aber ich höre es mir trotzdem an.“ Und weiter geht´s im Stimmungskarussell! Billy Bragg lässt Wiebke mit dem Kopf wippen. „Brit-Pop/Rock/Folk/Punk vom Feinsten! Das ist super, wenn ich Dampf ablassen muss. Danach fühlt man sich so: Ihr-könnt-mich-alle-mal-ich-bleibe-mir-treu-und-verbiege-mich-nicht!“ Der Gegner möchte man wirklich nicht sein! Schnell wieder zur Liebe: Janis Joplin war die erste große von Wiebke. „Es ist einfach unfair! Sie ist viel zu früh gestorben. Es gibt diese Janis-Momente in meinem Leben. Da geht nichts anderes. So viel Kraft, Ehrlichkeit und Persönlichkeit und irgendwie auch Verletzlichkeit. Im Grunde ist sie da ein Vorbild für mich. Das mit den Drogen und dem früh Sterben lass ich weg.“ Und zum Schluss gibt es dann noch einen Geheimtipp: Youn Sun Nah mit „Jockey Full Of Bourbon“. „Das Album dieser kleinen koreanischen Jazzsängerin ist eine echte Entdeckung. Hier geht es abschließend mal nicht so dreckig zu. Es ist herrlicher Jazzgesang mit einer bis ins Absurde getriebenen Liebe zum Detail“. Wiebke sollte DJ in einer Bar werden. Das wäre einer der angesagtesten Schuppen der Republik!


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