Von Philipp Quiring, 23.05.2016

Klangweiser eines Einzelgängers

Mit seinem grauen Flauschebart sieht Lubomyr Melnyk aus wie Gandalf der Graue oder Dumbledore. Ob seine optische Erscheinung vom Film beeinflusst ist, sei dahingestellt – die Musik, die ihn als Komponist und Pianist umgibt, ist es zweifelsohne.

Leidenschaftlich und esoterisch

Lubomyr Melnyk gerät in begeistertes Schwärmen, wenn er über Musik spricht. Zur Darstellung seiner Gedanken wählt er metaphysische Bilder, verleiht seinen Worten mit ausufernder Gestik – kreisenden Armen, gezielten Fingerbewegungen – zusätzlich Gewicht.
Die Auswahl seiner persönlichen Musiktracks ist vielfältig, reicht weit über die Klassik hinaus, bis in den Bereich der Rock- und eben auch Filmmusik; sie spiegelt zudem die Biografie eines Weltbürgers wider, der in der Ukraine aufwuchs, in Kanada und Frankreich lebte und erst vor kurzem nach Schweden auswanderte.



„Ich schätze in Beethovens Konzert diesen tragischen Pathos in der Kombination mit der anspruchsvollen Pianistik, die sein Werk durchzieht. Brahms‘ Konzert ist hingegen wie ein Ruf aus einem fremden Universum.“

Bis in die 60er

Bei einem betagteren Mann, der auf die 70 zugeht, ist es wenig verwunderlich, wie weit seine musikalischen Begegnungen in die Vergangenheit reichen. Seine Augenbrauen hochziehend und sanft lächelnd erinnert er sich zurück, als er um die 20 Jahre alt war, sich in den 60ern seine erste Schallplatte kaufte und durch die Spielweise von Martha Argerich „die unglaubliche Kraft fern von Einfachheit“ in der Musik Chopins erspürte.
In seiner eigenen Musik spielen der rhythmische Puls, die Repetition von Akkorden eine stilistische Rolle. Melnyk vertritt seinen Musikstil selbstbewusst, will ihn als eigenständig verstanden wissen und sieht ihn als „völlig unabhängig“ von der Ausdruckskraft anderer Tonsprachen an. Die klanglichen Einflüsse von Terry Rileys „Album In C“ sind jedoch schwer zu leugnen – wie auch Melnyk indirekt eingesteht: „Es hat die Welt verändert“. Überhaupt hat die Musik fern der Klassik ihre Spuren hinterlassen. Ob durch das sechste Album der Beatles „Rubber Soul“ („Ich habe mich zum ersten Mal auch in populäre Klangwelten verliebt“) oder durch den lyrischen Rock und die poetische Sprache von Procol Harum. Die Komponisten Hans Zimmer, Ennio Morricone und Jack Nitzsche liefern durch ihre Filmmusiken eine melodische Kraft – „eine Art Dreifaltigkeit der Melodik wie sie in der Klassik nicht zu finden ist“.
Melnyk ist ein stilistisch versierter und vielseitig offenohrig hörender Musiker, der während seiner verschiedenen Lebensphasen aus diversen Ländern Eindrücke mitbrachte, sich inspirieren ließ, sich immer wieder Orte zur Entwicklung seines eigenen Gedankengutes suchte. Verdis Rigoletto mit seinem ursprünglich angedachten Handlungsspielort Paris führte ihn in die Stadt der Liebe, wo er seine eigene Musiksprache konzipierte, die Continuous Music, für die er sich bis zum heutigen Tage vehement einsetzt und für die auch seine persönlichen Klangweiser eine prägende Rolle spielen.


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