Von Hannah Schmidt, 20.02.2017

Einschlafmusik

Der wissenschaftlich bestätigt entspannendste Song der Welt dauert acht Minuten bis zehn Stunden und senkt nachweislich den Herzschlag, den Blutdruck und die Atemfrequenz. Seine Schöpfer warnen davor, ihn beim Autofahren zu hören.

Acht Minuten pure Entspannung – Marconi Unions Song „Weightless“ gilt offiziell als der entspannendste Song der Welt. Die Band komponierte ihn gemeinsam mit Klangtherapeuten, die versuchten, eine Musik zu schaffen, die so entspannend wie möglich wirkt. Der Song soll sogar derart beruhigend wirken, dass manche Probanden beim Test des Forschungsinstituts Mindlab International im vergangenen Oktober schläfrig wurden. Man solle ihn besser nicht beim Autofahren hören, sagt Hirnforscher und Psychologe Dr. David Lewis-Hodgson vom Mindlab, denn das könne gefährlich werden.

Diese Musik fordert keine Konzentration, bietet keine Überraschungen, sondern synthetisch wabernde Klangwolken.

Die Musik ist dafür gemacht, im Moment ihres Abspielens wieder vergessen zu werden. Sie fordert keine Konzentration, bietet keine Überraschungen, die Melodie beziehungsweise die synthetisch wabernden Klangwolken wiederholen sich nie, eine Form deutet sich nicht an, die Musik regt zu keinerlei intellektuellen Auseinandersetzung mit ihr an – Meditationsmusik funktioniert ähnlich. Das ist Absicht: Der Hörer soll nicht die Musik mit ihren Besonderheiten als Kunstwerk wahrnehmen, sondern ihre Wirkung. Diese Musik ist funktional.
Laut Mindlab wird der ohnehin von Beginn an langsame Beat von 60bpm unmerklich immer langsamer. Der Herzschlag, so heißt es, passt sich den Schlägen an und wird ebenfalls langsamer. Nach acht Minuten wäre er damit bei 50bpm, laut Testergebnis bei manchen Menschen um bis zu 35 Prozent verringert. Sogar Unruhe, Ängste und Zweifel sollen durch diese allmähliche Anpassung des Pulses, des Atems und auch des Blutdrucks verschwinden.



Funktionale Musik an sich ist kein neues Phänomen, es gibt sie in unterschiedlichen Kontexten. Sie soll nicht in erster Linie als Musik wahrgenommen werden, sondern verfolgt außermusikalische Zwecke. Das 1934 gegründete Unternehmen Muzak war besonders für seine Gebrauchsmusik bekannt, bestes Beispiel ist die Pop-Dudelei in Supermärkten und Aufzügen – im Englischen wurde der Begriff „Muzak“ sogar ein Synonym für „Hintergrundmusik“. Untersuchungen zeigten, dass Kunden länger im Supermarkt blieben, wenn als angenehm empfundene, vor allem langsame Musik im Hintergrund lief.

„Weightless“ zeigt im Extremen, wozu funktionale Musik überhaupt fähig ist.

Diese kommerzielle Nutzung von Musik ist zwar längst Normalität, doch ihre Wirkung wird von den meisten vermutlich unterschätzt. „Weightless“ zeigt jetzt im Extremen, wozu funktionale Musik überhaupt fähig ist. Je nachdem, welche Experimente es in Zukunft noch geben wird, und wie viel besser wir das menschliche Gehirn und seine offensichtliche Reaktion auf Musik noch kennenlernen werden, können wir uns wohl darauf einstellen, dem Phänomen Musik, beziehungsweise ihrer möglichen Wirkung auf uns, irgendwann mit extremem Respekt zu begegnen.
Von „Weightless“ gibt es verschiedene Versionen. Die achtminütige ist wohl die verbreitetste, es gibt aber auch längere Versionen von zehn Minuten, einer Stunde oder sogar zehn Stunden. Wer sich diesen Song in dieser Version einen ganzen Tag lang anhört, fällt, so lässt sich befürchten, wohl mindestens in Ohnmacht oder in einen Winterschlaf von unbestimmter Dauer. Probieren wir es aus.

© Marconi Union/marconiunion.bandcamp.com by (iglomaag)[http://igloomag.com/reviews/marconi-union-weightless-ambient-transmissions-v2-just-music]/CC BY
© Lpmusix/Wikimedia/CC BY 2.5
© Screenshot: Hannah Schmidt


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