Von Thilo Braun, 25.10.2016

Nicht schweigen!

Die Botschaft wird am Ende sogar laut herausgeschrien. Trotzdem wirkt Udo Zimmermanns Oper „Weiße Rose“ in der Kölner Inszenierung abstrakt und rätselhaft. Musikalisch stimmt an diesem Abend aber einfach alles.

Hakenkreuze gibt es nicht. Ebenso wenig Kriegsbilder oder Häftlingskleidung. Die Helden der Geschichte sind vornehm angezogen, Sophie trägt ein schneeweißes Kleid, ihr Bruder Hans einen modischen, schwarzen Trenchcoat. Zwar schildert die Kammeroper „Weiße Rose“ von Udo Zimmermann die letzte Stunde der Geschwister Scholl vor ihrer Hinrichtung. Der Komponist richtet den Blick jedoch in erster Linie auf das Innenleben der Figuren. In bruchstückhaften Einzelszenen durchleben Hans und Sophie noch einmal die Gründe ihres Widerstands, spüren Ängste, fordern zum Handeln auf.

Das Libretto 118 von Wolfgang Willaschek basiert größtenteils auf Tagebucheinträgen und Briefen der Geschwister Scholl. Es ist ein abstrakter Text, Erinnerungsbilder wechseln mit visionären Szenen, dazwischen stehen moralische Ansprachen an das Publikum. Die Musik Zimmermanns kommentiert ihn teilweise recht plastisch. „Schießt nicht!“ schreit Hans zu Beginn der dritten Szene. Doch das Orchester poltert mit einem ins Absurde getriebenen Militärmarsch über ihn hinweg. Er hatte ein totes Kind in seinen Gedanken gesehen, ein Schreckensbild aus seiner Zeit als Soldat.

  1. Bizets „Carmen“, Verdis „La traviata“. Die berühmten Opern nennen wir in einem Atemzug mit ihren Komponisten. Aber wer schrieb eigentlich das Textbuch, das sogenannte Libretto, dazu? Von den Librettisten sind heute nur wenige Große geläufig, wie zum Beispiel Mozarts Textdichter Lorenzo da Ponte. Ausnahme: das Multitalent Richard Wagner. Der dichtete die Texte zu seinen Opern selbst. (AJ)

Diabolische Melodien schwirren im Orchester

Daneben stehen fragile, lyrische Passagen, die die Seelenzustände von Hans und Sophie beschreiben. In der vierten Szene treffen deren beide Welten schmerzhaft aufeinander: Sophie träumt sehnsuchtsvoll von Freiheit und Natur, während Hans weiter von Albträumen geplagt wird. Im Orchester schwirren dazu diabolische Melodien, immer wieder durchbrochen von drohenden, rhythmischen Einschüben, die in grellen Clustern ihren Höhepunkt finden.



„Wir haben eine Mauer aufgebaut Tag für Tag. Nacht für Nacht, Wort für Wort bis zum Schweigen.“

Hans Scholl (Sechste Szene)

Das junge griechischen Regie-Team Niki Ellinidou (Inszenierung) und Nefeli Myrtidi (Bühne und Kostüme) verzichtet zum Glück auf eine plakative Bebilderung solcher Szenen und sucht stattdessen nach zeitloser Symbolik. Omnipräsent ist eine Glühbirne, die wie ein sichtbarer Hoffnungsschimmer von der Decke baumelt. Kurz vor Schluss wiegt Sophie sie wie ein Kind im Arm – mögen die Mitglieder der Weißen Rose auch sterben, ihre Ideale sollen überleben.
Für das Konzept wurden Ellinidou und Myrtidi beim Europäischen Opernregie-Preis 2015 mit dem ersten Platz belohnt, vor allem die Stringenz ihrer Ideen beeindruckte die Juroren. Den Zuschauer kann ihre Bildsprache allerdings auch überfordern, denn teilweise nimmt das Entschlüsseln soviel Aufmerksamkeit in Anspruch, dass es die emotionale Aussage in den Hintergrund geraten lässt. Was bedeutet etwa das Aquarium am Bühnenrand? Steht das Wasser für Wahrheit? Warum duscht Sophie unter einem von der Decke rieselnden Sandstrahl? Andere Momente wirken hingegen unmittelbar: Wenn in der elften Szene die Zellenwände immer näher kommen und die Gefangenen zu zerquetschen drohen, kann man vor Beklemmung kaum hinsehen.

Musikalisch stimmt an diesem Abend dafür einfach alles. Die Instrumentalisten unter dem Dirigat Arne Willimcziks bilden ein faszinierend wandlungsfähiges Ensemble. Da schrillen Holzbläser über wütendem Blech, Oboen und Geigen weinen, alles ist präzise und lupenrein intoniert. Dass Zimmermann „15 Instrumentalisten“ und nicht „Orchester“ als Besetzung in die Partitur schreibt, liegt an der oftmals kommentierenden Funktion der Instrumente, etwa im intimen Zwiegespräch der Querflöte mit Sophie in der neunten Szene.



Die Stimmen der Sänger behandelt Zimmermann dagegen wie Instrumente, beinahe willkürlich wirkt so manche Melodie. Claudia Rohrbach und Wolfgang Schwaiger als Sophie und Hans Scholl meistern diese Herausforderung grandios! Egal ob im Pianissimo oder Forte, Claudia Rohrbach singt stets ohne Druck, messerscharfe Haltetöne gehen blitzschnell in innig vibrierende Wärme über. Das Timbre des erst 25-jährigen Baritons 26 Wolfgang Schwaiger ist kraftvoll und fokussiert, der Stimmfluss ungebrochen. Weil beide zudem noch über herausragende Schauspielleistungen verfügen, ernten sie am Ende zurecht laute Bravorufe.
Die Kernaussage des Werks wird kurz vor Schluss noch einmal lautstark von der Bühne verkündet: „Nicht schweigen!“ Wenn einer spricht, folgen auch die anderen, sagt Sophie. So richtig aufgewühlt ist man davon aber nicht: zu voraussehbar war diese Aussage, zu abstrakt ihre Aufarbeitung durch die Regie.

  1. Er kommt nicht richtig hoch und nicht richtig tief oder um anders zu sprechen: Er ist Meister der angenehmen, wichtigen Töne. Der Bariton ist die mittlere männliche Stimmlage zwischen Tenor und Bass. In der Oper gibt es ihn zum Beispiel in lyrischer und heldenhafter Ausprägung. (MH)

Weitere Aufführungs-Termine:

„Weiße Rose“
Szenen für 2 Sänger und 15 Instrumentalisten nach Texten von Wolfgang Willaschek, Musik von Udo Zimmermann (*1943)
Musikalische Leitung/ Arne Willimczik
Inszenierung/ Niki Ellinidou
Bühne & Kostüme/ Nefeli Myrtidi
Sophie Scholl/ Claudia Rohrbach
Hans Scholl/ Wolfgang Stefan Schwaiger

Die nächsten Vorstellungen finden am 27./ 28. Oktober und am 1./5./ 9./10./13./15. November statt. Weitere Informationen gibt es unter www.oper.koeln.de.

Oper Köln – Staatenhaus Saal 3
Rheinparkweg 1 / 50679 Köln


© Paul Leclaire/Oper Köln


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