Von Anna Vogt, 28.04.2016

Im Blutrausch

Zwischen Oper, Horrorfilm und Geisterbahn: Regisseur Antú Romero Nunes setzt in seiner Inszenierung des „Vampyr“ an der Komischen Oper Berlin auf Zombies, viel Kunstblut und böse Überraschungen.

Die amerikanische Teenie-Vampirromanze „Twilight Saga“ ist Kindergarten gegen Antú Romero Nunes´ Inszenierung des „Vampyr“ an der Komischen Oper Berlin. Der Vampir (Heiko Trinsinger), ein bleicher, unheimlicher Riese mit schwarzen Zottelhaaren, bewirft erst mal die Zuschauer mit Spinnen, bevor er eine Frau aus der ersten Reihe auf die Bühne zerrt, ihr die Kopfhaut abzieht und sie ausweidet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt der Premiere am 20. März ist man aus der trägen Sonntags-Gemütlichkeit aufgeschreckt, der Puls geht nach oben. Klar: Alles fake, aber die Gänsehaut ist echt. Und das war nur der erste einer Reihe virtuos eingesetzter Grusel- und Schockereffekte in der auf atemlose 90 Minuten gestrafften Neufassung von Marschners Opus, die Regisseur Nunes und Dramaturg Ulrich Lenz für die Komische Oper erarbeitet haben.

Keiner ist sicher!

In dieser Opern-Freakshow mit ihren blutigen und zum Teil absurd brutalen Splatter-Szenen wird der ganze Saal zur Geisterbahn. Denn auch im Zuschauerraum ist man nicht sicher: So seilt sich zum Beispiel eine riesige Spinne an einem langen Faden vom opulenten Kronleuchter auf die Parkett-Mitte ab und landet auf einigen ahnungslosen Köpfen des Premierenpublikums. Und eine weitere vermeintliche Zuschauerin wird zum nächsten Opfer des Vampirs und findet ihr böses Ende blutleer auf der Bühne. Nicht mal Dirigent Antony Hermus wird vom Vampir verschont, wie ein riesiger Blutfleck auf seinem weißen Hemd beim Schlussapplaus beweist.

Heute überrascht uns ein blutsaugender Vampir als Opernheld. Zu Heinrich Marschners Zeit aber, Anfang des 19. Jahrhunderts, herrschte eine solche Vampir-Begeisterung, dass dieses Thema wohl als Erfolgs-Garant gelten durfte. Und Vampir-Literatur gab es damals reichlich. Marschner wählte John Polidoris´ „The Vampire“ von 1819 als Vorlage, in dem die Figur eines Gentleman-Vampirs eingeführt wird. Der weist im Übrigen eine ziemlich deutliche Ähnlichkeit mit Polidoris´ gutem Freund (und damaligem Star-Poeten) Lord Byron auf.

An der Komischen Oper hat man dem Stück eine Erfrischungskur verpasst, nicht ohne Grund ist es als Musiktheater „nach Heinrich Marschner" angekündigt: „Der Vampyr“ wurde hier einmal komplett zerlegt, radikal gekürzt und neu wieder zusammengesetzt. Die Figuren wurden reduziert, die Nummern in eine neue Reihenfolge gebracht und durch neu komponierte Musik von Johannes Hofmann verbunden. Und das funktioniert hervorragend! Marschners romantische Opernmusik und Hofmanns filmmusikalisch angelegten, spannungsgeladenen Zwischenmusiken prallen radikal aufeinander: Deutsche Romantik trifft Hitchcock-Sound.

Wettlauf gegen die Wasseruhr

Die Handlung ist dabei so zweitrangig wie vorhersehbar: Der Vampir muss vor Mitternacht drei Frauen verführen und zu Tode beißen, um sich ein weiteres Jahr unter den Menschen zu erwirken. Was ihm dank seiner erotischen und faszinierenden Ausstrahlung auf Frauen als kleine Herausforderung erscheint, erweist sich mit fortschreitender Zeit als gar nicht mal so leicht. Denn zum einen hat er die Rechnung ohne die Liebhaber seiner Opfer gemacht und zum anderen ist vor allem Malwina, eines seiner Opfer (starker Auftritt: Nicole Chevalier), recht eigensinnig. Eine riesige Wasseruhr, eingebettet in ein überdimensionales Fledermaus-Flügel-Skelett auf der Bühne, zeigt an, wie die Zeit immer mehr gegen den Vampir arbeitet. Das Heer an Untoten, wie man es aus Zombie-Filmen kennt (mal wieder in bester Spiellaune: der Chor der Komischen Oper) ergeht sich derweil an den Resten seiner anderen Opfer, die mit großem Blutgespritze auseinandergenommen und verteilt werden. Ein Bein hier, ein Kopf da: Es grüßen die Horrorfilme aus Hollywood. Nichts für schwache Nerven!

Zum Gruseln in die Oper: Ein letztes Mal läuft „Der Vampyr“ in dieser Saison am 5. Juli in der Komischen Oper Berlin.



© Iko Freese/drama-berlin.de


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