Von Malte Hemmerich, 17.10.2016

Digitaler Opernmurks

Digitaler Opernguide klingt erstmal gut, genauso wie die Idee reizvoll ist, eine Opern-DVD mit Zusatz- und Vermittlungsangeboten aufzuwerten. Ist das der Durchbruch für die Heimkino-Oper für Jedermann?

Oper, das ist ein Liveerlebnis. Am Vorstellungsabend entfaltet das Musiktheater seinen vollen, unmittelbaren Reiz.
Doch wer keine Möglichkeit hat, Sänger im Raum des Opernhauses hautnah zu erleben und dabei mit seinen Augen in der Szenerie auf der Bühne selbst Regie zu führen, der greift wohl dann und wann auf konservierte Vorstellungen auf DVD und Bluray zurück.
Wenn nun euroarts und Unitel eine „innovative Zusatzfunktion“ für ihr Video der „Le nozze di Figaro“-Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf ankündigen, die im letzten Jahr bei den Salzburger Festspielen lief, schafft das eine gewisse Erwartungshaltung: Ist der „digitale Opernführer“ eine Art „Beethoven 9“-App für die Opernszene? Gibt es auch hier knackige musikalische Detailanalysen an symptomatischen Mozartstellen oder gar flippige, informative Animationen?

„Die Funktion ermöglicht es, die Handlung der Oper, Wissenswertes, sowie Hintergrundinformationen und Kommentare des Regisseurs auf dem Bildschirm einzublenden.“

Das klingt dann wieder mehr nach Ernüchterung als nach Innovation. Keine musikalisch tiefgründigen Infos also, keine Grafiken, nur eingeblendete Texttafeln. Nicht schlimm, wenn diese denn einen gewissen Weiterbildungs- oder zumindest Servicecharakter hätten. Aber leider ist das nicht der Fall.
Schon während der Ouvertüre 174 beginnen die Infoseiten aufzuploppen, 146 sind es im Verlauf der dreistündigen Oper. Den diese Schlagerouvertüre dirigierenden Dan Ettinger gekonnt ignorierend berichten sie von altbekannten Fakten zur Opernentstehung, die genauso auch im Beiheft zu finden sind. Designt sind sie im vergilbten Dokumentstil, welcher vielleicht hip anmuten soll, im Endeffekt aber nicht so recht gekonnt aussieht. Zudem nehmen die grobschlächtigen Tafeln viel mehr Raum vom Bild ein, als eigentlich nötig wäre.

  1. Eigentlich soll man sich seine Hits ja immer bis zum Schluss aufsparen. In Opernouvertüren wird diese Regel aber generell missachtet. Oft gibt es hier ein Medley der schönsten Melodien der folgenden Oper, manchmal aber auch neue musikalische Gedanken. Im Laufe der Zeit wurden Ouvertüren immer vielseitiger eingesetzt, außerdem durften manchmal, wie bei Tschaikowski, sogar Kanonen mitspielen! (MH)

Außerdem berichten die Texte oft das Offensichtliche, doppeln Rezitative und nehmen gar den Schluss einer Szene vorweg. Jeder aufmerksame Zuschauer sollte merken, dass Cherubino nun im Zimmer in der rechten Ecke sitzt und sehen, dass Figaro am Schreibtisch einen Brief verfasst. An wen sollen sich solche Kommentare richten?
Erhellung könnten die Anmerkungen zur Inszenierung bringen. Doch leider ist gerade Bechtolfs Version des Figaro geradezu klassisch, wenig verklausuliert und das Gegenteil von wild und kurios. Da muss die pseudovergilbte Schriftrolle nichts mehr entschlüsseln. Außer vielleicht, dass der Schauplatz von Bechtolfs Figaro das England der 20er Jahre ist, wie eine besserwisserische Tafel auch gleich bemerkt, bevor überhaupt die erste Szene zu sehen ist. Zwischen „an die Hand nehmen“ und „für unmündig erklären“ gibt es doch einen Unterschied. Neben ein paar wenigen Infos zur Musikgeschichte sind es vor allem Bechtolfs seltene Kommentare, die, manchmal gewinnbringend, oft aber oberflächlich und floskelhaft, ein bisschen Exklusivität vermitteln und nicht im nächsten Wikipedia-Artikel nachzulesen sind. Klar will der Regisseur in den kurzen Kommentaren nicht jede Kleinigkeit seiner Inszenierung erklären, vielleicht fasst er sich aber auch kurz, weil es gar nicht so viel zu sagen gibt.
So schaltet man den Opernführer schnell wieder ab – und sieht sich einfach eine sängerisch gute, wunderbar gefilmte, klassische Figaro-Inszenierung an.



So reizvoll die Idee vom digitalen, multimedialen und heimkinoveredelnden Opernführer klingt und auch in zukünftigen DVD-Projekten unbedingt weiterentwickelt werden sollte: Hier handelt es sich dann doch eher um erweiterte Untertitel. Die Möglichkeiten eines digitalen Musikguides sind in vielen Klassik-Apps schon gewinnbringender herausgestellt worden. Da bräuchte es einen viel kühneren innovativen Ansatz, um dann auch interessant für ein junges, technikaffines Einsteigerpublikum zu sein. Der Opernguide auf dieser DVD scheint sich dagegen vor allem an das Opernpublikum zu richten, das keine Lust hat, ein Booklet zu lesen und in einer Inszenierung sofort jede Kleinigkeit nachvollziehen will, anstatt selbst zu rätseln oder etwas auf sich wirken zu lassen. Und wahrscheinlich ist das Zielpublikum einer Opern-DVD damit auch genau richtig beschrieben.


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Wolfgang Amadeus Mozart

Le nozze di Figaro

Luca Pisaroni, Anett Fritsch, Martina Jankova, Adam Plachetka, Ann Murray, Wiener Philharmoniker, Dan Ettinger

Euroarts/Unitel

© „Le nozze di Figaro", Bluray von euroarts/Unitel


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