Von Malte Hemmerich, 21.10.2016

Gebührensatt bildungsverhungert

Lange wurde ein Geheimnis darum gemacht, seit Oktober ist „funk“ jetzt online. Was das neue Jugendprogramm von ARD und ZDF über „die Jugend“ und die sogenannte „Hochkultur“ verrät. Eine Kolumne von Malte Hemmerich.

Es ist nicht einfach, „funk“ zu erfassen. Zu weit verzweigt sich das neue Jugendprogramm von ARD und ZDF im Netz und versucht so, seine recht große Zielgruppe zu erreichen: Junge Leute von 14-29. In einer Handyapp wischt man kurze Textlein oder Serien wie bei Tinder hin und her, auf der Online-Plattform wird man erschlagen von 40 verschiedenen Videoformaten. Auch auf Facebook funkt es. Alle geläufigen Informationskanäle der Altersgruppe werden bedient.

Nach zwei Klicks auf der Website lande ich aus Versehen bei einer Wasserstoffblondine, die erklärt, warum mir meine Freundin keinen blasen will. Nun gut, ein bisschen Dr. Sommer gehört wohl obligatorisch dazu, wenn man „Programm für junge Leute“ machen will. Ich stolpere daneben auch über interessanten investigativen Journalismus und viel Comedy. Moderatoren präsentieren unheimlich flippig ihren Inhalt. Mal mehr, mal weniger davon. Mein Musikjournalismus-Gen mit „Hochkultur“-Ausprägung meldet sich, und ich suche etwas aus meinem Interessensgebiet: Musik. Da gibt’s ein Nachrichtenformat, das mir erzählt, welcher DJ den letzten Hype am Flughafen ausgelöst hat. Ob RTLII seine Prominews zurück will? Sonst ist bei Musikformaten eher Flaute. Immerhin soll der Youtuber Marti Fischer demnächst mit „Bongo Boulevard“ an den Start gehen. Der wird dann vielleicht auch mal Beethoven eine Folge widmen, dem „alten Cheater":



Aber sonst: Literatur, Theater und Kunst – Fehlanzeige. Besteht die „Kultur“ unserer Generation etwa nur noch aus einem bunten Haufen von Gamingvideos und Songparodien? Und wenn ja, möchte das niemand ändern? Nun ist „funk“ erst seit Oktober online und darf und will sich noch entwickeln, aber eine Grundausrichtung ist doch zu erkennen: Anbiederung und Edutainment. Vielleicht unabdingbar, um heute den Bildungsauftrag noch erfüllen zu können. Wie soll man auch sonst bei der medial zugemüllten Jugend noch Gehör finden?
Doch die, die von dieser Aufmachung genervt sind, müssen darunter leiden. Die, die gerne einen Gegenpol zu den schnellen, oberflächlichen Medien unserer Tage hätten und sich auch für ungewöhnliche Themen interessieren, werden bei „funk“ nur zufällig fündig. Marketingmenschen propagieren die hippe Aufmachung als Königsweg, dabei ist auch das Gegenteil denkbar: „funk“ könnte ja auch ein Programm stemmen, das gerade nicht ausschließlich im Youtube-Videoblogstyle ist und so eine Alternative zu den vielen clickbaitenden Netzinhalten bieten, von denen es auch so schon genug gibt. So machte es sich unverwechselbar. Anspruch als Markenzeichen. Es sollten lieber komplexe Themen erschlossen werden, die eben wegen ihrer Komplexität in einem trashigen 5-Minüter nicht funktionieren, aber wichtig sind für uns als intelligente – und manchmal eben auch intellektuelle – junge Menschen. Die Lösung, den Spagat zwischen wirklich unterhaltsam und trotzdem noch tiefgründig Informativ, gibt es nicht, sondern nur ein Annähern daran.

Besteht die „Kultur“ unserer Generation etwa nur noch aus einem bunten Haufen von Gamingvideos und Songparodien? Und wer, wenn nicht das durch Gebühren sicher finanzierte „funk“-Programm, könnte sich das Experiment erlauben, daran etwas zu ändern?

Natürlich kann gerade in den Nischenbereichen, Theater, Literatur und Musik, die eben nur einen Bruchteil der jungen Leute interessieren, ein solches Format voll gegen die Wand fahren. Aber wer kann sich ein solches Experiment heute noch erlauben, wenn nicht das durch Gebühren sicher finanzierte „funk“-Programm? Selbst wenn am Ende die Erkenntnis steht, dass – auch wenn man sich bemüht – niemand aus der jungen Generation mehr Zeit und Lust auf klassische Kultur und ihre Vermittlung oder auch andere komplexe Themenbereiche hat: Man hätte es zumindest mal ausprobiert.
Das ist ein Wagnis, das „funk“ bisher offensichtlich nicht eingehen will. Doch wer weiß. Da sich Website und App jeden Tag ändern, hält sich „funk“ alle Möglichkeiten offen, denn das Motto ist: „Wir sind nie fertig“. Und das zumindest ist schon jetzt ein großer, guter Unterschied im Selbstverständnis zu den großen Muttermedien ARD und ZDF.

© Screenshots www.funk.net


    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.