Von Christopher Warmuth, 09.01.2017

Pubertätsrevolte

Martin G. Berger liebt Operette. Und er ist Ende zwanzig. Viele kanzeln Operette und Musical als berieselnde Schunkelei ab. Im Interview erzählt der Regisseur, wie schwer ihm selbst das Geständnis gefallen ist, dass er die vermeintlich leichte Muse mag.

Ein ziemlich lässiger Typ! Martin G. Berger steckt in den Proben für Dido an der Deutschen Oper Berlin. Der zeitgenössische Komponist Michael Hirsch kombiniert für diese Produktion seine zehnminütige Kurzoper von 2003 mit der barocken 27 Oper „Dido and Aeneas“ von Henry Purcell. Martin G. Berger lehnt lässig auf den Holzstühlchen in der Kantine der Deutschen Oper, schlürft Kaffee, regt sich über den Betrieb auf und erzählt von seiner Leidenschaft. Stress? Fehlanzeige. Ob er im Endprobenprozess noch genau so entspannt ist wie jetzt, werden wir bei unserem Probenbesuch kurz vor der Premiere erfahren.

  1. Reifrock, Puder, Mätressen und Schampus. Willkommen im Barock. Musikalisch endet diese Epoche mit dem Tod von Johann Sebastian Bach. Die Musik ist mathematisch komplex geführt, ergötzt sich an Verzierungskunst und wurde häufig für die Kirche komponiert. Der Barock bietet aber mehr als Schwulst und Erhabenes. (CW)

niusic: Bist du in 10 Jahren DER Operettenregisseur der Republik?

Martin G. Berger: (lacht) Keine Ahnung. Hoffentlich nicht nur. Ich versuche natürlich so breit wie möglich aufgestellt zu sein und habe auch das Glück, dass ich ganz verschiedene Sachen machen kann. Allerdings liebe ich das sogenannte „leichte Genre“ sehr. Das ging schon in der Schule los. Wir hatten zum Beispiel keine Theater-AG, sondern eine Musical-AG. Und ich hatte einen sehr guten Freund, der mir gezeigt hat, dass es auch gute Musicals außerhalb der großen Shows in Deutschland gibt.

niusic: Ist ja meistens alles privat. Stage Entertainment boomt noch immer …

Martin G. Berger: Klar. Aber wenn es nur das gäbe, wäre ich sicher kein Musical-Freund geworden. Viele sehr spannende Stücke aus diesem Genre schaffen es nie nach Deutschland.

niusic: Ok, kommen wir zur Operette zurück.

Martin G. Berger: Gerne. Ich habe nach dem Abi bei einem Musical-Regisseur eine Hospitanz gemacht, bin dann durch ein Festengagement am Theater Dortmund zu Oper und Operette gekommen. Ich komme ursprünglich aus einem extremen Bildungsbürgerhaushalt …

niusic: Das heißt?

Martin G. Berger: Mein Vater ist Professor für Byzantinistik, und meine Mutter hat einen Doktor in Gräzistik. Musical war Pubertätsrevolution.

niusic: Das ist nicht normal.

Martin G. Berger: (lacht) Ja, ich weiß. Aber bei uns wurde halt nur Bach gehört. Allerdings war die Pop-Musik, mit der ich aufgewachsen bin, „Max Raabe“ und „die Prinzen“. Ich kenne sicherlich 120 Schlager der 1920er bis 1940er in der Max-Raabe-Version auswendig. Vieles davon stammt aus Operetten, da war der Weg zum Musical nicht mehr so weit. Später, außerhalb des Elternhauses, hatte ich dann allerdings ziemliche „Outing-Probleme“, weil ich mich natürlich immer gefragt habe: Wie gehen mein intellektueller Background und mein eigener Anspruch mit dieser Musik zusammen?

niusic: Woher kommt diese Scham?

Martin G. Berger: Das Genre ist überfrachtet mit Klischees. Und denen sitzt man selber natürlich auch auf. Man denkt: „Ich bin doch schlau, wieso mag ich sowas?“ Irgendwann habe ich immer mehr Wege gefunden, die verschiedenen Welten zu verbinden und habe die Scham abgelegt.



niusic: Du hast kürzlich erst „Die verkaufte Braut“ von Bedřich Smetana in Hannover inszeniert ...

Martin G. Berger: Ehrlich gesagt ist das Stück an sich ziemlich schwierig. Nicht nur, aber auch weil es vom Publikum als Operette verstanden wird, obwohl es eine teilweise sehr düstere Oper mit einer ziemlich überholten Handlung und uralten Konflikten ist. Ich habe versucht, es auf zwei Arten ins Heute zu holen: Zum einen habe ich mit Mitteln des „emersiven Theaters“ gearbeitet. Das bedeutet, dass man sich zum Publikum und auch zum Raum verhält und die Zuschauer Teil der Inszenierung werden. Ich habe das ganze Stück komplett in eine Simulation gesteckt, die suggerierte, dass es sich um eine Firmen-Fremdveranstaltung im Opernhaus handelt. Und zum anderen habe ich aber auch eine Musical-Dramaturgie drüber gelegt – damit habe ich versucht, auch die Komik zu erhalten, die viele von dem Stück erwarten.

niusic: Sah ja alles ziemlich bunt aus …

Martin G. Berger: Ja. Sowas hätte ich nie mit einem Musical gemacht. Das Interessante ist ja, die Oper mit den Mitteln des Musicals zu machen und das Musical mit den Mitteln der Oper. Das bringt einen im Idealfall nämlich dazu, im Humor das Wesentliche zu erkennen und im Wesentlichen den Humor. Große Kunst ist nicht nur, wenn es weh tut und man sich intellektuell quält.

niusic: Aber was ist an einer intellektuellen Herangehensweise verkehrt?

Martin G. Berger: Gar nichts! Im Gegenteil! Verkehrt ist immer nur, wenn der Regisseur keine Fragen stellt. Nur: Tiefgründigkeit ist nicht dasselbe wie Humorlosigkeit. Eine tiefe Auseinandersetzung kann auch rasend komisch sein. Leider gibt es auf den Bühnen immer wieder Gegenbeispiele, wo selbst große, schwere Stoffe oberflächlich behandelt werden.

niusic: Warum ist das so? Warum kann man es sich leisten, oberflächliche Dinge auf die Bühne zu bringen?

Martin G. Berger: Naja, ist ziemlich anstrengend, in die Tiefe zu gehen. Außerdem sind wir im Betrieb gefangen und produzieren zu viel. Da nehme ich mich gar nicht aus.

5 Dinge über Operette, die unbedingt mal mit einem Kenner wie Berger angesprochen werden mussten:

1. Operette ist die verschlagerte Oper, in der auch geschunkelt werden soll.
Ja! Operette reduziert Oper, Theater und das Leben allgemein so gnadenlos auf den Schlager, dass Dir beim Schunkeln vor lauter Erkenntnis die Kotze hochkommt.

2. Operette ist gut für die Auslastungszahl.
Offenbach leider nie.

3. Operette ist bunt, frech und lustig ...
... intelligent, scharf, krass, tabulos, auf den Punkt.

4. In 10 Jahren ist Helene Fischer DIE Operettensängerin.
Wäre gut für eine positive Antwort auf Frage 2.

5. Wenn Helene Fischer tot ist, wird es keine Operette mehr geben.
Monster sterben nie.

niusic: Was kann denn die Oper von der Operette lernen?

Martin G. Berger: Wie heißt es so schön in der Theaterwissenschaft? A spielt B, und C schaut zu. Und wenn C nicht da ist, dann haben wir ein Problem.

niusic: Also Anbiederung?

Martin G. Berger: Nein. Es geht nur darum, immer in dem Bewusstsein zu arbeiten, dass „C“ – das Publikum – da ist. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass man versucht zu berieseln oder nur Bestätigung sucht; man kann ja auch auf Entsetzen, Aufrütteln, neue Perspektiven aufzeigen oder ein dialogischen Austausch abzielen. Blöd ist nur, wenn man sich selbst genug ist. Aber das heißt für mich, dass es sogar noch früher losgeht: Wir müssen vermitteln. Von Anfang an. Erklären, warum wir den Stoff anders anpacken, als die Leute es womöglich erwarten. Einladen, unsere Sichtweisen mitzugehen. Alle nötigen Informationen bereitstellen, damit man in der Lage ist, sich ein Bild zu machen. Wir dürfen nie sagen: „Wer es nicht versteht, ist selber schuld“ – dann verlieren wir die Menschen und damit unsere Ausdrucksform.

niusic: Was ist die Ausdrucksform für dich?

Martin G. Berger: Alles, was auf eine Fragestellung abzielt, ist etwas Künstlerisches. Alles, was auf Bestätigung des immer Gleichen hinausläuft, ist für mich keine Kunst.


    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.