Von Christopher Warmuth, 21.12.2016

Protestkultur

Im Interview mit Lisa Batiashvili wird klar, dass sie aus der Kunstblase will. Wir haben über Valery Gergiev, politische Korrektheit, Flüchtlinge und über gesellschaftspolitisches Engagement gesprochen.

Was für ein Statement! 2014 trat Lisa Batiashvili gemeinsam mit dem russischen Dirigenten Valery Gergiev auf, der durch seine Putin-nahen Äußerungen immer wieder Aufsehen erregt. Damals hatte Russland gerade die Halbinsel Krim besetzt. Und Lisa Batiashvili nutzte das Konzert zum öffentlichen musikalischen Protest: Als Zugabe spielte sie das „Requiem für die Ukraine“ des georgischen Komponisten Igor Loboda, das sie selbst in Auftrag gegeben hatte. Batiashvili stammt aus Georgien, ihre Eltern flüchteten Anfang der Neunziger Jahre vor dem drohenden Bürgerkrieg. Im kleinen Münchner Café wirkt sie fast unscheinbar auf dem kleinen Holzhocker. Bereits nach kurzer Zeit wird klar, dass der Schein trügt. Wir sprechen über Musik, driften aber schnell ab.

niusic: Die großen Violinkonzerte hast du jetzt einmal durch: Sibelius, Tschaikowski, Beethoven, Schostakowitsch und Brahms. Was kommt denn dann? Wieder von vorne?

Lisa Batiashvili: (lacht) Mir geht es nicht nur um das Repertoire, sondern um das große Ganze. Mir ist die musikalische Partnerschaft sehr wichtig! Ich will nur mit besonderen Menschen musizieren. Mit Daniel Barenboim habe ich Sibelius bei der Veranstaltung „Staatsoper für alle“ 2016 in Berlin auf der Waldbühne gespielt und danach aufgenommen. Und so ist das eigentlich bei allen Platten, die ich bisher gemacht habe: Die sind mir im Gesamten sehr wichtig.

niusic: Mit Valery Gergiev hat es geknirscht, war scheinbar kein gutes Drumherum. Würdest du mit ihm nochmal spielen?

Lisa Batiashvili: Es gibt so viele andere gute Dirigenten.

niusic: Die Nähe von Gergiev zu Wladimir Putin finden ja viele schwierig ...

Lisa Batiashvili: Schwierig? Seine politische Position ist inakzeptabel. Wir sind ja nicht einfach nur Künstler, die mal vorbeischauen und schnell die Massen unterhalten. Wir sind Menschen mit Bewusstsein, die auch ein Beispiel sein sollten, auch politisch.

niusic: Waren nicht deine georgischen Wurzeln der Hauptprotestgrund im Fall Gergiev?

Lisa Batiashvili: Klar! Ich weiß durch meine Herkunft bestimmte Sachen, die viele Menschen in Europa in der Form nicht wissen. Eine Geschichtsstunde in Deutschland ist ja sehr beschränkt auf die deutsche Geschichte und alles, was vielleicht im Westen passiert.



niusic: In Zeiten des weltweiten Populismus und des Rechtspopulismus in Europa würde ich es begrüßen, wenn sich mehr Künstler politisch äußern.

Lisa Batiashvili: Viele trauen sich das nicht und es gibt auch viele, die sich einfach nur raushalten wollen. Ich kenne viele Musiker, die sich einfach nicht für politische Zusammenhänge interessieren.

niusic: Gehört das nicht automatisch dazu, sich zu interessieren?

Lisa Batiashvili: Da muss man ja tiefer schauen, da muss man sich auch für historische Zusammenhänge interessieren. Die Fragilität, die Deutschland gegenüber dem Thema ‚Flüchtlinge‘ hat, die hat mit der Vergangenheit zu tun. Die Menschen trauen sich nicht darüber zu sprechen, was man machen kann und was nicht. Wir sind keine Heiligen, wir sind auch Menschen. Wir können Anderen zu einem bestimmten Grade helfen. Es ist ein Traum, zu denken, dass man die Welt retten kann. Vieles wird in Deutschland nicht gesagt, und das bleibt dann im Herzen und in den Gedanken der Menschen, und es entstehen extreme Ansichten. Für mich ist es heute auch die größte Frage, in welcher Welt meine Kinder aufwachsen werden.

niusic: Klingt nach ‚Angst‘. Aber ist es nicht absurd, gerade in der heutigen Zeit, in der die Arbeitslosigkeit so gering wie nie ist …

Lisa Batiashvili: Nur in Deutschland …

niusic: Ja, aber in genau diesem Land gehen manche Leute auf die Straße, suggerieren, dass sie das ganze Volk wären und wettern gegen Ausländer. Ist die Angst nicht zu absurd?

Lisa Batiashvili: Frankreich ist ein Beispiel, wie man nicht mit Einwanderern umgehen sollte. Mit der Zeit ist es ja immer schwieriger geworden. Die Menschen haben sich mehr und mehr abgeschottet vom Rest der Gesellschaft. Diese Einwanderer haben Ghettos, haben ihre Stadtteile, haben wenig Chancen. Das ist ein Problem für die und das ist ein Problem für die Franzosen. Deutschland kann sich das nicht leisten, dass es irgendwann in so eine Richtung geht. Man muss sie rechtzeitig integrieren und sie auch teilweise dazu zwingen. Zwingen klingt jetzt schlecht, aber ich habe das ja selbst durchgemacht. Ich bin auch jemand, der aus einem Land gekommen ist, das arm war, das in einer Kriegssituation war, und wir mussten uns so schnell an die deutschen Gesetze halten und an alles anpassen. Das war für mich eine klare Geschichte.



niusic: Bist du Französin, Georgierin, Deutsche oder Europäerin?

Lisa Batiashvili: Also meine Kinder sind Franzosen, jedenfalls fühlen sie sich so. Das haben sie ziemlich deutlich gesagt. Meine Eltern sind sehr oft da und sprechen auch georgisch mit meinen Kindern. Dadurch fühlen sie sich auch in anderen Ländern noch zugehörig. Für sie gibt es überhaupt keine Grenzen. Und das ist ganz toll.

niusic: Musik wird ja nachgesagt, dass sie deshalb keine Grenzen kennt, weil sie die eigentliche menschliche Sprache ist. In der Musikgeschichte wird ja aber ständig gestritten, es geht ständig um Für und Wider …

Lisa Batiashvili: (lacht) Es gibt heute noch sehr viel Politik in den Orchestern, zwischen den Veranstaltern. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir immer noch Menschen sind, keine Heiligen. Für mich ist das Kennenlernen des Publikums auf der ganzen Welt ein sehr wichtiger Punkt, der zeigt, um was es geht.

niusic: Viele Gespräche?

Lisa Batiashvili: Auch. Aber eher der Moment nach dem Konzert, der des Glückes oder wie man das auch nennen kann, dieses Sich-Vereinen mit dem Publikum, der ist unfassbar. Diese emotionalen Momente passieren häufig. Und das ist ja das, was aus uns Menschen macht und warum wir überhaupt da sind.

niusic: Beim romantischen Repertoire, Sibelius und Tschaikowski, habe ich manchmal das Gefühl, dass ein Konzert zu einem emotionalen Ritual wird. Da sitzen die Menschen mit geschlossenen Augen, hören zu und verkriechen sich ein wenig. Vielleicht lässt die Kunst die Welt da draußen zu sehr außer Acht?

Lisa Batiashvili: Wir sollten den Menschen auch erlauben, dass sie sich zurückziehen und dann in eine Welt gehen, die sie sich selbst aussuchen. Das ist auch meditativ.

niusic: Vielleicht wäre es in der derzeitigen politischen Lage wichtig, mal nicht nur in sich hineinzuhören?

Lisa Batiashvili: Wenn Kunst die Kraft hätte, die Menschen so zu verändern, dass es zu keiner Gewalt mehr kommt, dann würde ich mich extrem stark dafür einsetzen. Dann könnte ich viel verändern.

niusic: Dann vielleicht doch Politikerin?

Lisa Batiashvili: Auf keinen Fall, die Politikwelt ist mir zu unehrlich.

niusic: Aber ist Musik die ehrlichere Welt?

Lisa Batiashvili: Viel ehrlicher. Man kann sich als Musiker nicht selbst anlügen, wenn man musiziert. Musik machen geht nicht, ohne ehrlich zu sein. Politik kannst du machen, indem du ganz andere Sachen sagst, als du meinst.


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Peter Iljitsch Tschaikowski, Jean Sibelius

Tschaikowski - Sibelius - Violinkonzerte

Lisa Batiashvili, Staatskapelle Berlin, Daniel Barenboim

Deutsche Grammophon

© Anja Frers
© Sammy Hart


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