Von Konrad Bott, 11.07.2016

Kaffeekannenrakete zum Mond

William Kentridge und Philip Miller präsentieren ihr multimediales Projekt „Paper Music“ als Auftakt zum „Foreign Affairs“-Festival in Berlin.

Es ist gute Filmmusik: Sie bewegt den Hörer, ist unaufdringlich und doch unentbehrlich.

Die Kaffeekanne legt eine Bruchlandung auf dem Mond hin. Der Insasse, unbehelligt von derlei Strapazen, wirft einen melancholischen Blick aus dem Fenster, stellt sein Tassenteleskop scharf. Eigentümliche Schattengestalten, hingekleckst mit schraffierenden Bewegungen, ziehen vorbei und verlieren sich im Weiß der Mondoberfläche. Willkommen zum Festival „Foreign Affairs“! Willkommen zum Konzert „Paper Music“! Diese Kooperation des südafrikanischen Zeichners William Kentridge mit seinem Landsmann, dem Komponisten Philip Miller, eröffnet das diesjährige Festival. Im Martin-Gropius Bau in Berlin hat sich eine beachtliche Anzahl Kulturbegeisterter zusammengefunden, um die Künstler von der Südhalbkugel zu sehen und zu hören. Bunte Vögel der Kunstszene, Die-Hard-Fans des Festivals und Neugierige aller Altersklassen setzen sich erwartungsvoll in den erhabenen, etwas düsteren Saal, während draußen die volle Abendsonne steht. Dass es der Auftakt des Festivals wert ist, wird schnell klar.

Das Konzept von „Paper Music“ ist ebenso einfach wie schön: Millers Musik unterstützt – von untermalen zu sprechen, würde ihr nicht gerecht – Kentridges animierte Filmchen. Bewegte Tusche-, und Kohlezeichnungen, Szenen aus dem Atelier Kentridges, poetisch, fantasievoll, einfühlsam. Ganz nach dem Vorbild der Stummfilm-Orchestrierung musizieren die Sängerinnen Joanna Dudley und Ann Masina, sowie der Pianist Vincenzo Pasquariello synchron zu den Animationen. Temperamentvoll, lustig, zurückhaltend, liebevoll, erklingt die Musik Millers. Flügel, Ukulele, Plattenspieler und nicht zuletzt die umwerfend vielfältigen Stimmen der Sängerinnen „passieren“ parallel zu den Projektionen des Beamers. „Passieren“ deshalb, weil sie zwar eindeutig und äußerst exakt auf das Leinwandgeschehen abgestimmt sind, dennoch nahezu völlig eigenständig scheinen und auch ohne die Filme funktionieren könnten. Philip Miller hat ganze Arbeit geleistet. Changierend zwischen Pop, Klassik, Jazz und Folklore bewegen sich seine Kompositionen, ohne irgendein Genre in seinem Stolz zu verletzen. Es ist gute Filmmusik: Sie bewegt den Hörer, ist unaufdringlich und doch unentbehrlich.

Szenen aus dem Atelier Kentridges – poetisch, fantasievoll, einfühlsam.

Die Sängerinnen bilden ein optisches Gegensatzpaar par excellence: Die Australierin Joanna Dudley schlank, hellhäutig, mit strengem Bob-Haarschnitt, während die Südafrikanerin Ann Masina den Inbegriff einer resoluten Stammesmutti verkörpert, bei dem jeder Ethnologe schmelzen dürfte. In wundervoll sympathischer Art wird da geheult, gesummt, lyrisch geträllert und entsetzt gezetert. Dabei überraschen beide mit stimmlichen Eigenheiten, die man eher dem jeweils anderen zugetraut hätte. Mit viel Witz nehmen die Damen zu den bissigeren Filmen wie „Lullaby For House-Alarm“ die gesellschaftlichen Spannungen in Südafrika aufs Korn. Vincenzo Pasquariello indes beweist, dass er nicht nur Klavier spielen, sondern auch mit Papier rascheln kann. Kunststück? Aber sicher. Überzeugt euch selbst, bei den kommenden Veranstaltungen im Rahmen von „Foreign Affairs“!



William Kentridge und seine Truppe sind noch an einigen Abenden mit wechselndem Programm zu sehen, darüberhinaus eine Ausstellung des Künstlers und viele spannende Events anderer Art – Konzerte, Theaterstücke, Performances, Diskussionen etc.
Foreign Affairs läuft noch bis zum 16. Juli! Informationen und Tickets bekommt ihr hier: http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/foreignaffairs/ueberfestivalfa/aktuellfa/start.php

© William Kentridge/Berliner Festspiele
© Thys Dullaart/Berliner Festspiele
© Marc Shoul/Berliner Festspiele


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