Von Christopher Warmuth, 06.06.2016

Fremdling der Opernwelt

Künstlergestus: verdammt gelassen! Andrè Schuen ist ein lässiger Typ, tiefenentspannt, und er erdet sein Umfeld mit jedem Atemzug. Er scheint auf dem Sprung in die große Karriere, hat unter Nikolaus Harnoncourt, Sir Simon Rattle und Teodor Currentzis gesungen. Der Terminkalender ist in der nächsten Spielzeit proppevoll. Auftritte in der Oper scheinen ihn im direkten Vergleich mit der Rolle als Liedsänger sogar zu entspannen.

„Faustregel: Oper bringt mehr Geld. Und viele Kollegen sind nicht bereit, einen Liederabend für ein Fünftel der Operngage zu singen. Ich bin da ganz naiv ambitioniert, mich interessiert: Beides.“

Andrè Schuen

niusic: Andrè Schuen gehört sicher zu den Sängern, die sich zwischen Lied und Oper nicht entscheiden können?

Andrè Schuen: (lacht) Sicher könnte ich mich entscheiden, aber ich will es einfach nicht. Aber eines würde ich am ehesten zurückschrauben: Konzert. Da nervt mich manchmal die Situation: Auf die Bühne kommen, sitzen, zwanzig Minuten nichts tun, aufstehen, kurz singen und wieder still sitzen. Das liegt mir überhaupt nicht. Für mich war von Beginn an glasklar, dass ich Oper und Lied machen will. Es gibt immer mehr Sänger, die nur Oper machen, wobei ich weiß, dass im Grunde auch viele Lied machen würden, nur kümmern sich meistens deren Agenturen einfach zu schlecht darum und es hat – wie immer – auch mit Geld zu tun. Faustregel: Oper bringt mehr Geld. Und noch eine Faustregel: Viele Kollegen sind nicht bereit, einen Liederabend für ein Fünftel der Operngage zu singen. Ich bin da ganz naiv ambitioniert, was mich interessiert: Beides. Lied und Oper sind auf dem gleichen Level.

niusic: Was reizt dich am Lied?

Andrè: Im Moment bin ich in einer Liedphase, verrückt nach Lied. Insgeheim denke ich immer wenn ich zum Lied komme: Lied ist eigentlich das allerschönste. Bei Oper reizt mich die Verbindung mit dem Schauspiel, das dauert länger, bis ich dahinkomme. Lied triggert mich von Beginn an. Es ist die Verbindung von Lyrik und Musik, klingt vermutlich abgedroschen, aber ich finde genau das unfassbar spannend. Das ist der Antrieb hinsichtlich der Kunst, wenn ich jetzt die Rahmenbedingungen anschaue, dann habe ich mehr Entscheidungen beim Lied. Ich kann mit meinem Pianisten selbst entscheiden, was ich machen will. Ich kann im Lied das Publikum viel eher berühren, es ist viel intimer. Landläufiges Geplapper meint ja, dass Lied nicht ganz so en vogue ist. Das stimmt nicht. Die Reaktionen nach Liederabenden sind viel heftiger, viel emotionaler.



Der Bariton Andrè Schuen stammt aus dem ladinischen La Val – Südtirol – und wuchs dort dreisprachig auf: ladinisch, italienisch und deutsch. Seine nächsten Termine zeigen, dass es für ihn bei Oper und Lied kein Entweder-oder gibt. Am 10. Juni singt er im Joseph-Keilberth-Saal in Bamberg Lieder von Franz Listz, Franz Schubert, Francesco Paolo Tosti, dieses Programm ist auch zwei Tage später in der Kölner Philharmonie zu hören. Am 17. Juni steht er dann in Katowice als Don Giovanni auf der Bühne.

niusic: Dabei wird der Oper ja nachgesagt, dass sie DAS „Kraftwerk der Gefühle” ist ...

Andrè: Das mag im Inneren der Kunst so sein, in der Wirkung bin ich da anderer Meinung. Ich habe bei der Oper eine vierte Wand, die Bühne ist ja fast eine verschlossene Box, die Interaktion mit dem Publikum kaum möglich, weil es darum geht, dass die Geschichte in dieser Box funktionieren soll.

niusic: Schützt dich diese Bühne nicht auch mehr?

Andrè: Auf jeden Fall! Manchmal fehlt mir auch der Schutz beim Lied, das ist gelegentlich schon sehr hart, weil es sehr nah ist. Bei Oper bin ich in einer ganz bestimmten, inszenierten Rolle, stecke in einem Kostümmantel, der mir nochmal mehr Schutz bietet, die Bühne ist größer, und in der bin ich auch fest verankert. Es ist schon sehr viel entspannter.

niusic: ... aber sie lässt weniger Raum für dich selbst?

Andrè: Exakt. Die Kontrolle durch andere Instanzen ist beim Musiktheater schon krass: Da hast du einen Dirigenten, dessen Assistenten, den Regisseur, dessen Assistenten, den Dramaturgen. Da diktieren dir schon mal eine handvoll Leute, was zu tun ist.

niusic: Kein Widerspruchsrecht?

Andrè: Selten. Das hat natürlich auch viel mit dem künstlerischen Standing zu tun. Wenn ein Jonas Kaufmann – genialer Typ – in eine Produktion kommt, dann wird natürlich mehr Rücksicht genommen. Das ist schade, dass das nicht grundsätzlich so ist. Bei normalen Sängern, die keine Megastars sind, wird weniger auf die Befindlichkeiten eingegangen.

niusic: Exorbitanter Erfolg hat aber auch Nachteile, gerade die großen Labels nehmen ja schon enorm Einfluss bei der Auswahl der Aufnahmen. Seine Operetten-Platte oder sein Auftritt in der Helene-Fischer-Show sprechen ja Bände ...

Andrè: Ich bin froh, dass ich selbst bestimmen kann, was ich aufnehmen will. Das ist das Privileg des „kleineren“ Künstlers. Bei meiner ersten Platte war mir einfach wichtig, dass das Konzept – drei Komponisten, drei Dichter, drei Zeitalter – aufgeht. Und jetzt bei der zweiten Platte setze ich auch voll auf das Konzept. Bei einem großen Major-Label ginge das vermutlich nicht so einfach.



niusic: Machst du die Platten dann eher für dich?

Andrè: Natürlich könnte ich jetzt sagen, dass ich das vor allem für die Kunst mache. Wäre aber so schlicht gelogen. Ich glaube, ich mache das für mich und lasse andere daran teilhaben. Es gibt genug Sänger auf der Welt, und wenn ich jetzt nicht mehr singen würde, würde die Musikwelt nicht zusammenbrechen. Ich würde einfach nur nicht sagen, dass ich wegen dem Publikum Künstler geworden bin, dafür bin ich zu wenig Mittelpunktstyp und die gibt es zuhauf. Ich bin zudem nicht so der Kopfmensch, vor allem, wenn es um Kunst geht. Ich habe beispielsweise auch keine Angst davor, künstlerisch nicht mehr zu sein. Ich kenne nur die Angst vor dem Auftreten, die habe ich extrem.

niusic: Hat die nicht jeder ...?

„Ich wandere jetzt nicht blauäugig durchs Leben und harre der Dinge, die da auf mich zukommen. Ich habe natürlich auch tiefschürfende Bedenken dem Job gegenüber. Diese Krisen hat man einfach.“

Andrè Schuen

Andrè: (lacht) Ich habe aber keine Versagensangst, sondern die Kunst schafft mir den Druck. Singen ist die existenzielle Sache für mich, ohne will ich nicht sein, aber ich könnte es. Es gibt nur Momente, wenn ich auf der Bühne stehe, da begreife ich erst in dem Moment, was für ein Privileg es jetzt ist, eine gewisse Musik zu spielen. Es gibt Musik, die ist quasi heilig für mich. Dem kann man kaum gerecht werden.

niusic: Das ist die erste Frage, bei der du nicht gelassen wirkst.

Andrè: Na ja, ich wandere jetzt nicht blauäugig durchs Leben und harre der Dinge, die da auf mich zukommen. Ich habe natürlich auch tiefschürfende Bedenken dem Job gegenüber. Diese Krisen hat man einfach. Ich bin am Land aufgewachsen, ich gehöre einer sprachlichen Minderheit an, und meine erste Oper habe ich mit siebzehn Jahren gesehen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich in diese Opernwelt nicht wirklich hingehöre. Da brechen meine Wurzeln mit meinem heutigen Alltag.

niusic: Was ist so zermürbend an der Oper?

Andrè: Nicht die Kunstform, sondern der Apparat, der daranhängt. Die Rituale hinter der Bühne, zwischenmenschlicher Hickhack, die persönlichen Eitelkeiten. Manchmal nervt mich das so sehr, dass ich mich wirklich frage, ob es sich überhaupt lohnt, sich diesem ganzen Stress wirklich auszusetzen. Manchmal würde ich am liebsten in meiner Heimat auf den Berg gehen, irgendeinen Job haben, der entspannter ist, und einfach singen, wann ich will. Aber auch dieses Zweifeln gehört dazu. End of the day liebe ich diesen Job, mit all seinen Hürden und Makeln.

niusic: Andrè Schuen in 10 Jahren?

Andrè: Egal.

niusic: Na komm ...

Andrè: (lacht) Im Idealfall Sänger und glücklich über meinen Beruf. Oder nein, noch besser: In 10 Jahren bin ich glücklich über mein privates, berufliches Leben. Ich will mich nicht mehr so an meinen Beruf klammern, das habe ich von meiner Professorin gelernt. Die hat immer gesagt, wenn man wirkliche Wünsche hat, dann sind die sowieso so tief in einem verankert, dass man unterbewusst eh drauf hinarbeiten wird. Es bringt nichts, dafür gezwungen noch mehr zu tun. Natürlich arbeite ich daran. Aber es wäre doof jetzt zu sagen: Ah ja in 10 Jahren Don Giovanni an der MET. Vielleicht habe ich auch keine Lust auf New York. Mal sehen.


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