Von Malte Hemmerich, 05.05.2016

Wir brauchen Helden!

Jonas Kaufmann ist ein Startenor. Dieses Bild zumindest füttert die Marketing-Maschinerie fleißig jeden Tag. Fernsehauftritte, Poster und Operetten-CD: Hinter das von PR-Agenturen und Plattenfirma entworfene Image zu schauen ist schwer. Vielleicht steht dahinter nicht viel mehr als ein unspektakulärer Mann mit guter Stimme.

Mitten im Foyer der Philharmonie Essen hat sich eine lange Menschenschlange gebildet. Ungehalten quetschen sich Konzertbesucher durch die Reihe der Wartenden, ungläubig und doch interessiert, wer da für was ansteht. Es ist Arienabend im Ruhrgebiet. Wer das Anstehen überstanden hat, freut sich über ein überteuertes Hochglanzprogramm mit lebensgroßen Fotos des Startenors Jonas Kaufmann. Wer diesen Preis nicht zahlen will, nimmt mit dem normalen, schlichten Standardprogramm vorlieb. Zweiklassengesellschaft! Das schaffen nur wenige Klassikkünstler. Der charismatische Jonas Kaufmann weiß seit Jahren schon eine Marketing-Maschine vom Kaliber eines Lang Lang oder David Garrett in seinem Rücken. Der Unterschied: Jonas Kaufmann ist auch bei Licht besehen ein ausgezeichneter Sänger. Seine Stimme hat Stahl und Strahlkraft, Wärme, und ein Timbre 110 von unbestreitbar hohem Wiedererkennungswert. So schafft er das Kunststück, im ernsten Klassikbetrieb ganz oben mitzuspielen, auf den größten Bühnen, und gleichzeitig von Kritikern gelobt zu werden.

  1. Warum klingt Simone Kermes anders als Maria Callas? Sopran ist nicht gleich Sopran. Wie Wein oder Schokolade besitzt jede ausgebildete Sängerstimme eine besondere Färbung, einen wiedererkennbaren „Geschmack“ – das Timbre. Diese Klangfarbe gibt der Stimme ihren Charakter und ihre Unverwechselbarkeit. (AJ)

Wenn einer sagt, „ich mache jetzt nur noch die großen Recital-Tourneen“, wird er wahrscheinlich nach kurzer Zeit feststellen, dass ihn die richtigen Operngeher nicht mehr ernst nehmen. Die fragen sich: „Was will der denn? Das ist ja kein Opernsänger sondern ein Event-Singer.“ Da muss man schon aufpassen, dass man die Waage hält.

Jonas Kaufmann (planet-interview, 2009)

In Essen ist er zu Gast mit seinem Puccini-Arienprogramm. Erfolg auf ganzer Linie ist vorprogrammiert: Wie maßgeschneidert passt dieser Komponist zu Kaufmanns Stimme. Diese bricht schluchzend in den Höhen und klingt dabei gut, tönt im Kopfregister durchdringend leise und besitzt dann wieder eine baritonale Kraft, die nicht jedem gefallen mag. Ihn begleitet an diesem Abend die Staatskapelle Weimar, die eigentlich nur Leinwand für Kaufmanns Stimmkunst ist, sich aber zu emanzipieren versucht. Denn niemand will gerne nur Statist sein. Das endet in geradezu reißerisch herausgeputzten Puccini-Zwischenspielen in oftmals ohrenbetäubender Lautstärke. Besser gelingt das Zusammenspiel mit Kaufmann. Die Musiker lassen dem Sänger, dessen Stimme hörbar angeschlagen ist, viel Platz, Abläufe sitzen, vielfach abgestimmt. Alles wirkt bestens vorbereitet und abgeschmeckt. Umso befremdlicher, dass Kaufmann die Texte seiner zehn Arien 102 vom iPad abliest. Nach Puccini-Hits, Puccini-Unbekanntem, Puccini und mehr- Zugaben verlässt er dann unter Standing Ovations mit strahlendem Gesicht die Bühne.

  1. Wie sprechen, nur schöner: In der Oper unterhalten sich die Menschen singend. Während sie im Rezitativ versuchen, möglichst viel Handlung zu erzählen, dürfen Papageno, Carmen und Co. in der Arie ihren Gefühlen Luft machen. Herausgelöst aus der ursprünglichen Geschichte wurden diese Schmuckstücke manchmal berühmter als die Oper selbst. (AJ)

Ein Saubermann ohne Fehltritte?

Nicht immer war Kaufmann in der Vergangenheit bei der Repertoirewahl so gut beraten, wie in den letzten zwei Jahren. Viel weiter zurück muss man da gar nicht schauen: Davon zeugen sein kommerziell erfolgreiches, im künstlerischen Gehalt streitbares Operetten-Album sowie eine Schubertsche Winterreise, in der deutlich wird, dass es im Lande deutlich stärkere Liedsänger gibt.



Als Verdi- und Wagner-Sänger findet er aber nun seine Bestimmung und sich überschlagende Zustimmung von allen Seiten. Hier passen Kaufmanns Ausstrahlung und sein Timbre, das erst voller Gewalt ist, dann zitternd verletzlich. Ohne allzu viele Abschattierungen dazwischen.
Für seinen wirklich umwerfenden Puccini-Gesang wurde er jüngst erst an der Wiener Staatsoper während der „Tosca“ so sehr gefeiert, dass es seine Partnerin Angela Gheorghiu danach scheinbar gar nicht mehr „notwendig“ empfand, aufzutreten. Kaufmann selbst schien das eher peinlich. Auch sonst wirkt der Sänger auf der Bühne viel zurückhaltender, ja unauffälliger, als es uns der Latin-Lover-Appeal seiner CD-Cover vorgaukelt. In einen zwielichtigen Opernblog hat Kaufmann es trotzdem schon geschafft. Was kann ein einfacher Mann aus München mehr erreichen?



In Essen war es dann Kaufmann selbst, der nach der Pause und dem Orchestervorspiel seinen Auftritt verpasste und vom Dirigenten auf die Bühne geholt werden musste. „Ich hab es nicht gehört“, entschuldigte sich der Lockenkopf etwas tapsig und umständlich. Frenetischer Applaus im Saal. In so einem Moment wird deutlich, was bereits beim Blick ins Publikum schwante: Hier wird man Zeuge von einem Personenkult, der die Musik öfter in den Hintergrund drängt. Das ist bei Kaufmann noch weniger penetrant zu erleben, als bei einigen seiner Kollegen. Und doch sollte der grandiose Sängerheld darauf achten, dass er auch weiterhin öfter mit Hunding und Brünnhilde auf der Bühne landet, als in der Helene Fischer-Show.

© Gregor Holdenberg
© Sven Lorenz


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