Von Konrad Bott, 13.02.2018

Ehret die Anfänge

Erst suhle ich mich in Kindheitserinnerungen, dann eskalieren die Gedanken zur Musikpädagogik in meinem Kopf. Schuld sind Yo-Yo Ma und „Murray Beethoven“, die berühmte Hupennase.

Elmo, Grobi, Graf Zahl, Oskar, Ernie, Bert und das Krümelmonster. Jeder kennt zumindest eine dieser Figuren der Sesamstraße. Gemeinsam mit ihren Monsterfreunden bringen sie Vorschulkindern in den USA und Deutschland Buchstaben und Zahlen bei. Außerdem machen sie jede Menge Musik – Rock, Jazz und Klassik. Unzählige der alten Sesamstraßen-Clips gibt es auf YouTube, unter denen die Fans der plüschigen Charaktere ihre Kindheitserinnerungen posten.
An einem Format aus der mittlerweile fast fünfzigjährigen Serie bin ich hängen geblieben: den wundervoll zeitlosen Aufnahmen, in denen Stars der Klassik-Szene gemeinsam mit den Bewohnern der New-Yorker Monsterallee Instrumente stimmen und ausprobieren, locker vor sich hin jammen oder kurze, unkomplizierte Stücke zum Besten geben. Eines der schönsten Beispiele ist dieser Clip aus dem Jahr 1989 ...



Abgesehen von Yo-Yo Mas Frisur, die gerne in den späten Achtzigern bleiben könnte, dürfte jeder Fernsehsender heute auf so eine Produktion stolz sein. Ohne Hektik, ohne unnötigen Klamauk und mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Das kleine Musikstück spielt mit dem klassischen Frage-Antwort-Schema und überrascht mit seiner echt Beethovenschen endlosen Schlusskadenz. Die Freude über seinen Einsatz steht dem orangenen Klingelmonster jedes Mal ins Gesicht geschrieben, und Yo-Yo Ma ist sich nicht zu schade, jedem Mitmusiker die Hand zum Dank zu reichen. Eine durch und durch musikalische Performance, die auch heute kein bisschen von ihrer Kraft eingebüßt hat, Kinder für Musik – insbesondere klassische – zu begeistern.

Gerade im Vorschulalter ist es den meisten Kindern noch ziemlich egal, welche Art der Musik an sie herangetragen wird, solange die Form stimmt. Sympathie gegenüber den Musikern und eine mögliche Identifikation mit ihnen wiegen weit schwerer als die Frage, ob Hip-Hop, Metal oder Klassik gespielt wird. Das besondere an diesem und anderen Videos der Sesamstraße ist, dass es seine Adressaten, die Kinder also, nicht für dumm verkauft. Anstatt mit zwanghaft „kindgerechter“ Wortwahl sprechen die Akteure völlig natürlich – soweit es das Skript zulässt. Außerdem wirkt der Clip völlig entschleunigt und scheint die Zuschauer nicht mit Hunderten bewegter Elemente und Animationen bei der Stange halten zu wollen.

Singen und Klatschen. Gulli gulli ramsamsam. Versteht ihr?

Andere Zeiten, andere Darstellungsformen, gewiss! Aber von der charmanten Ernsthaftigkeit darf man sich in der Pädagogik gerne etwas beibehalten. So wird ohne viel Aufhebens die Würde der klassischen Musik, die Würde der Musiker, der Zuschauer und die Würde derer, die sich das Konzept ausgedacht haben, gewahrt.
Es gibt nämlich schon an Musikhochschulen diese Eigendynamik: Die Instrumentalstudenten verspotten die Musikwissenschaftler, die Musikwissenschaftler rümpfen die Nase, wenn ihnen ein Lehrämtler über den Weg läuft, und die Lehrämtler beteuern bei jeder Gelegenheit, sie hätten nichts mit den „EMP“-lern zu tun. EMP ist die unterste Kaste: Elementare Musikpädagogik. Singen und Klatschen. Gulli gulli ramsamsam. Versteht ihr? „Luca, nicht die Emily mit dem Schellenkranz hauen!“ Wer gerne über Ausgaben der „Musik-Konzepte“ brütet oder sein Solistenexamen vorbereitet, hat für solche Spielereien meist keine Zeit, keinen Nerv und erst recht kein Verständnis.

Dabei ist nichts Kindisches und auch nichts Ehrenrühriges daran, nach dem „Elementaren“, also dem „Urstofflichen“ in der Musik zu suchen. Es wird nur peinlich, wenn man als Pädagoge glaubt, klassische Musik derart vereinfachen und aufpeppen zu müssen, dass auf dem Vermittlungsweg ihr Charakter völlig verloren geht. Die Faszination eines unaufgelösten Akkords ist Fesselung genug. Da spielt es keine Rolle, ob das hörende Kind 1983 oder 2015 geboren wurde.
Angehende Musikpädagogen sollten mehr Achtung vor sich selbst und ihrer Aufgabe entwickeln, und in allen Medien Platz beanspruchen. Wenn sie auf diesem Weg in Bild und Ton ihre Zielgruppe tatsächlich anregen und nicht nur durch billige Pointen ruhig stellen wollen, dann können schöne, tragfähige Formate entstehen. Wie? Lasst euch was einfallen. Wer nicht fragt, bleibt dumm!

© Konrad Bott


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