Von Jesper Klein, 08.02.2018

Kommentierte Klassik

Immer mehr Orchester vermarkten sich selbst, indem sie Konzerte live streamen. Dabei kann das Publikum kommentieren und Fragen stellen. Aber wer tut das? Unser Autor hat sich einen Livestream des Gürzenich-Orchesters angeschaut.

Vor einer Woche schrieb ich an dieser Stelle, dass Live-Streaming von klassischen Konzerten noch in den Kinderschuhen steckt. Dabei blieb unter anderem die Frage ungeklärt, wer sich die Übertragungen tatsächlich anschaut. Am Dienstagabend zeigte nun das Gürzenich-Orchester sein Sinfoniekonzert Nr. 6 live im Internet – Werke von Boulez, Beethoven und Bartók standen auf dem Programm. Online war das Konzert außer auf der orchestereigenen Plattform „GO Plus“ auch bei YouTube, Facebook und auf dem Musikportal takt1 zu sehen.

Das Gürzenich-Orchester hatte die Übertragung medial groß aufgefahren. Die Ankündigungen waren zahlreich, einen Tag zuvor erschien ein Trailer bei YouTube, in dem Dirigent François-Xavier Roth das Publikum auf das Konzert einstimmte. Auch der Stream ist durchchoreographiert. Musikjournalist Holger Noltze von takt1 führt durch den Abend. Zweisprachig, mit Blick auf die internationale Zielgruppe. Doch von wo kommen die Zuschauer tatsächlich? Aus der ganzen Welt, das zeigen die Kommentare und Facebook-Profile. Schweden, Frankreich, Großbritannien, Brasilien und die USA sind vertreten, zudem der asiatische Raum. Die deutschsprachigen Zuschauer scheinen vor allem aus Köln und Umgebung zu kommen. Die Motivationen, sich das Konzert anzuschauen, sind verschieden: Fans des Gürzenich-Orchesters sind dabei, andere sind durch Zufall auf den Stream gestoßen oder gehen wegen Nachwuchs abends nicht mehr ins Konzert.

Pausentalk

Die Idee, die Online-Zuschauer auch in der Pause zu bespaßen, ist nur logisch. Das Publikum im Saal wird sich kaum verabschieden, online ist die Versuchung allerdings größer. Die Zuschauerzahlen fallen jedoch sowohl bei YouTube als auch bei Facebook in den Pausen nicht ab. Das liegt auch daran, dass das Gürzenich-Orchester alles auffährt, was an Backstage-Action möglich ist. Schon während der ersten Konzerthälfte dürfen die Zuschauer im Chat Fragen stellen, die Dirigent Roth in der Pause beantworten soll. Einige der Fragen können auch sofort von Verantwortlichen des Gürzenich-Orchesters gelöst werden, etwa: Wie viele Proben finden für ein Konzert statt? – 6. Wann wird das Programm für die neue Saison bekannt gegeben? – Am 8. Mai. Ein Zuschauer will von Pianist Benjamin Grosvenor wissen, wie es ist, die frühen Werke Beethovens zu spielen. Noltze fragt also in der Pause nach. Unterhaltsam ist dieses Intermezzo auch, weil Grosvenor wohl selten direkt nach der Darbietung vor der Kamera stehen muss. Wenn dabei im Hintergrund die Musiker mit ihren Instrumenten vorbeilaufen, erinnert das durchaus an die Interviews, die Fieldreporter bei Sportübertragungen schon während des Spiels führen.

Dank und Emojis

Den Zuschauern gefällt es. „Schöne Pausengespräche“, lautet ein Urteil. Die Kommentare halten sich allerdings in Grenzen, sie beschränken sich zum Großteil auf virtuelle Bravo-Rufe, Dankesbekundungen und das Applaudierende-Hände-Emoji. Auch die Klickzahlen lassen Luft nach oben. Zu Beginn des Konzerts schauen 52 Zuschauer den Stream bei YouTube, 16 bei Facebook. Der Höchstwert liegt in der ersten Hälfte bei 145 Zuschauern auf YouTube und 35 auf Facebook. Im zweiten Teil ändert sich hieran wenig, rund 160 Zuschauer sehen Bartóks Konzert für Orchester – allerdings ist die Facebook-Übertragung zu diesem Zeitpunkt bereits beendet. Ein ausbaufähiger Wert – zumal der Stream kostenlos war und mehr als 4000 Menschen das Gürzenich-Orchester bei Facebook abonniert haben.

Am Ende des Abends spricht Roth selbst die Übertragung auf der Bühne an, begrüßt die Zuschauer des Streams „hier in Köln“ als einen Teil des Konzertes. Das ist wichtig und zeigt, dass man in Köln die Streaming-Zuschauer als einen Teil des Konzertpublikums ernst nimmt. Denn trotz durchwachsener Klickzahlen macht das Gürzenich am Dienstagabend vieles richtig. Es bietet Abwechslung und füllt die Leerstellen sinnvoll mit hochwertigen Inhalten. Eine gelungene Übertragung und für alle, die am Dienstag nicht ins Konzert gehen konnten, eine echte Alternative.

Das ganze Konzert gibt es zum Nachhören auf der Seite des Gürzenich-Orchesters.


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