Von Malte Hemmerich, 08.04.2016

Neuer Großer?

Egal ob Castingshow-Teilnehmer oder Klassik-Künstler. Heute braucht jeder, der CDs verkaufen will, offensichtlich eine besondere Hintergrundgeschichte. Pianist Lucas Debargue ist keine Ausnahme. Aber wie gehaltvoll ist sein Spiel?

Ein völlig eigenwilliger Ansatz, Glenn Gould-gleich, ein Exzentriker und Autodidakt. Liest man über den jungen Pianisten Lucas Debargue, so tauchen ein und dieselben Zitate immer wieder auf. So scheint es Debargue einerseits bereits jetzt, nach einigen Konzerten, gelungen, in einer sehr schnelllebigen medialen Welt zumindest im Gespräch zu bleiben. Andererseits baut sich mit dem Ruf als exzentrisch-einzigartige Person auch gleichzeitig eine Erwartungshaltung auf, der, besonders im hochfrequentierten Pianistenbereich, nicht immer alle Künstler gewachsen scheinen.
Nachdem der gefeierte Tschaikowsky-Wettbewerbsvierte nun seine erste Platte vorgelegt hat, stellt sich zuerst Ernüchterung ein:
Voller Seife und wattiert kommen seine Scarlatti-Sonaten, Eröffnungsstücke seiner Live-Aufnahme, daher. Es tröpfelt harmlos wie warmer Sommerregen, die zuckend-schnellen Ausbrüche dann geradezu effekthascherisch unpassend. Dazu der Klang: Körperlos, ja teilnahmslos klingt der Flügel, als wäre da stetig eine unsichtbare Barriere zwischen uns, dem Publikum und Debargue. Es scheint, als hätte die Aufnahmetechnik herausgefiltert, was live ausmacht und gleichzeitig vergessen, die Schwächen des Klangs auszugleichen.

Bei der Chopin Ballade No. 4 in f-Moll beweist Debargue dann melodiöses Feingefühl mit durchaus einnehmenden Momenten, auch wenn seine Ausbrüche künstlicher wirken und sich weniger aus dem Spiel heraus entwickeln als beispielsweise die eines Krystian Zimermans.
Die Mittelstücke der Aufnahme sind nicht zufällig auch musikalisches Herz der Aufnahme. Franz Liszts Mephisto-Walzer und der technisch unheimlich schwere „Gaspard de la Nuit"-Zyklus Maurice Ravels sind, über weite Strecken, ungestüme Stücke, denen Debargues unvorhersehbares Klavierspiel eine besondere Note verleiht. „Scarbo" nimmt Debargue als Fingerübung, so unbeschwert klingt sein Anschlag, bevor er sich wie ein Wilder ins Finale stürzt und sein Körpergewicht in die Hände zu fließen scheint. Das ist aufregend!



In den Zugaben, Grieg und Schubert und Scarlatti-Improvisation, kehrt Debargue zu seinem weichen Tropfanschlag zurück, der den Ohren schmeichelt, doch auch immer wieder droht, in die Konturlosigkeit abzudriften.

Scarlatti-Sonaten, die Geschmacksfrage bleiben, solide Romantik, beeindruckender Ravel, insgesamt eine Aufnahme, die die Faszination, die Debargue im Konzert offensichtlich verbreitet, nur stellenweise einzufangen weiß.



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Domenico Scarlatti, Frédéric Chopin, Franz Liszt, Maurice Ravel

Lucas Debargue

Sony Classical

© Evgeny Evtyukhovm
© Felix Broede


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