Hai Society

Rom. – Wie die Polizei mitteilte, ist es gestern Nacht im Amtssitz des Staatsoberhauptes zu einem Anschlagsversuch gekommen. Niemand wurde verletzt. Ziel des Attentats war P. (26), jene Frau, die sich bereits seit längerer Zeit im Regierungspalast aufhält und deren Affäre mit dem Machthaber in der Hauptstadt als offenes Geheimnis gilt. Pikanter Weise handelte es sich beim Angreifer um O. (30), ihren Ex-Verlobten, nur Liebe scheint noch in letzter Sekunde eine Katastrophe verhindert zu haben. Die Polizei geht aufgrund dieser Verbindung von einer Eifersuchtstat aus, die allerdings staatstragendes Gewicht bekommt durch den Umstand, dass der Täter in seiner Aussage die Frau des Regierungschefs der Planung und Anstiftung bezichtigt hat. Damit kam eine Untersuchung ins Rollen, die derzeit noch nicht abgeschlossen ist, wie höchste Kreise verlauten ließen.

Nach jüngsten Gerüchten soll die Frau des Regierungschefs bei der Befragung in Erklärungsnot gekommen sein, und ihr Mann inzwischen die Scheidung eingereicht haben.

Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen hatte das Opfer des Anschlagsversuchs aufgrund der hohen sommerlichen Temperaturen die Nacht im Freien verbringen und im Garten des Regierungsgebäudes schlafen wollen. Der Täter konnte nur deshalb ungesehen zu der Frau vordringen, weil er sich eine ihrer Angestellte gefügig gemacht und zur Mithilfe bei einer Maskerade gezwungen hatte. Die Angestellte wurde von der Garde umgehend, wenn auch aus den falschen Gründen, festgenommen. Nach jüngsten Gerüchten soll die Frau des Regierungschefs bei der Befragung in Erklärungsnot gekommen sein, und ihr Mann inzwischen die Scheidung eingereicht haben. Es besteht allem Vernehmen nach Gütertrennung, wodurch der Verstoßenen, aus einer der angesehensten Familien stammend, wahrscheinlich der Umzug auf ihren von der Hauptstadt weit abgelegenen Sommersitz bevorstehen dürfte.

Doch auch das Staatsoberhaupt selbst gilt nicht als unumstritten. So soll der Machthaber seinerzeit nicht unschuldig am Selbstmord seines einstigen Mentors gewesen sein, einem Lehrstuhlinhaber an der hiesigen Philosophischen Fakultät. Doch konnten die Sonderermittler keine Beweise vorlegen, die zur Aufhebung der Immunität und Anklage ausgereicht hätten. In der Klatschpresse wird hingegen schon lange der angeblich ausschweifende Lebensstil thematisiert, den der Regierungschef hinter den Fassaden seines Amtssitzes etabliert haben soll.
Für die im Garten attackierte junge Frau stellt sich der misslungene Anschlag hingegen als Glücksfall dar: Noch am selben Morgen gab das Büro des Staatsoberhauptes die angestrebte Verlobung bekannt, wodurch die Frau, der eine Vergangenheit als Edelprostituierte nachgesagt wird, in absehbarer Zukunft in die Position der First Lady aufsteigen dürfte.

Eine wirklich unerhörte Geschichte ist es, die Claudio Monteverdi in seiner ersten Oper für ein öffentliches Opernhaus, die 1642 uraufgeführte „L´Incoronazione di Poppea“ (Die Krönung der Poppea), erzählt. Auffällig ist nicht nur, dass er erstmalig keinen mythischen, sondern einen historischen Stoff wählt, sondern auch dessen moralische Zweideutigkeit. Das Geschehen, das am Hof des römischen Kaisers Nero (ital. Nerone) ca. 62 n. Chr. spielt, wird als Streit dreier Gottheiten eingeleitet, die allegorisch das menschliche Leben beherrschen: die Tugend, das Schicksal und die Liebe. Amor schwört sich durchzusetzen – und soll am Ende Recht behalten. Die Tugend bleibt tatsächlich auf der Strecke: Es wird gelogen, betrogen, verleumdet und aufgelauert nach allen Regeln, nach denen die High Society im Zentrum der Macht bis heute funktioniert. Das verleiht der Oper bis heute Aktualität und zeigt den Autor der Textvorlage als weisen Menschenkenner.
Neros Mätresse Poppea fürchtet eine Intrige der Kaiserin Ottavia und des Philosophen Seneca, die die Verbindung des Kaisers mit Misstrauen sehen. Also verleumdet sie Seneca, so dass Nero ihm den Befehl zum Selbstmord übermittelt, den der Stoiker willig ausführt. Zusammen mit seinem Gespielen Lucano feiert der Kaiser das Beseitigen dieser moralischen Instanz als weiteren Weg zu seinem Ziel, Poppea zu heiraten: „Cantiam, cantiam“ (Lass uns singen!). Die Kaiserin Ottavia stiftet in ihrer Verzweiflung den Hauptmann Ottone zum Anschlag auf Poppea an. Mit Hilfe der in ihn verliebten Magd Drusilla kann Ottone, nach dem Kleidertausch mit der Magd, bis an das Bett der Mätresse vordringen. Doch schafft er es letztlich nicht, das Messer zu erheben. Amor lässt ihm die Hand sinken. So kommt es, wie es kommen muss – die über ihren Sturz noch völlig fassungslose Ottavia muss sich stockend und klagend von der Hauptstadt verabschieden („Addio, Roma!“), Ottone und Drusilla werden ebenfalls verbannt. Am Ende triumphiert die Liebe, die das neue Kaiserpaar Nero und Poppea mit einem der schönsten Duette der Operngeschichte feiert („Pur ti miro, pur ti godo“).

Und das sagt unsere Rechtsexpertin:
Ottone soll Poppea umbringen, scheitert aber, weil Amor im letzten Moment dazwischen tritt und Poppea rettet. Damit bleibt aber eine Strafbarkeit wegen Versuchs bestehen: Ottone war fest dazu entschlossen, Poppea umzubringen, und hatte auch schon unmittelbar dazu angesetzt. Dass er sich eigens verkleidete, um als Drusilla keinen Argwohn bei Poppea aufkommen zu lassen, und sie letztlich im Schlaf erstechen wollte, würde von einem heutigen Gericht zudem als heimtückische Vorgehensweise gewertet werden und damit als versuchter Mord. Auf Mord steht lebenslange Freiheitsstrafe, § 211 Abs. 1 StGB. Da es beim Versuch geblieben ist, kann die Strafe jedoch gemildert werden, auf eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Das gleiche Strafmaß droht auch Ottavia als Anstifterin, § 26 StGB.
Drusilla hat Ottone ihre Kleidung geliehen, damit dieser seinen Tatplan ausführen konnte. Damit hat sie ihm Hilfe zur Tat geleistet, sodass sie sich wegen Beihilfe zum versuchten Mord strafbar gemacht hat, §§ 211 Abs. 2, 23 Abs. 1, 27 Abs. 1 StGB. Die Höhe ihrer Strafe orientiert sich gemäß § 27 Abs. 2 StGB an der Strafdrohung für den unmittelbaren Täter, Ottone, muss aber zwingend nach der in § 49 Abs. 1 StGB festgelegten Staffelung gemildert werden. Für sie ergibt sich darum letztlich ein Strafmaß von mindestens 6 Monaten und höchstens 11 Jahren und 3 Monaten Freiheitsstrafe.

(Jessica Krüger, Bucerius Law School Hamburg)