Von Malte Hemmerich, 13.10.2017

Von Glücksrittern und Karrieristen

Alle zwei Jahre trifft sich in Gütersloh renommierter Sängerfachverstand. Junge Talente kommen aus aller Welt zum Wettbewerb „Neue Stimmen“. In der Vorrunde geben sie die erste Kostprobe ihres Könnens vor der Jury: Zittern, Angstschweiß und die Hoffnung auf die eine große Chance? Malte Hemmerich war dabei.

Morgens, 9.45 Uhr, im beschaulichen Gütersloh. Auf dem Marktplatz packt ein Straßenkünstler routiniert seine Gitarre aus und beginnt, noch etwas krächzend, zu singen. Ein paar hundert Meter entfernt im großen Saal der Stadthalle tritt die 24-jährige Estíbaliz Martyn ähnlich routiniert im funkelnd roten Kleid vor eine Jury aus ganz großen Gesangsexperten und wichtigen Opernbetriebsleuten der Welt. Und da enden dann die Gemeinsamkeiten auch schon. Martyn hat sich bereits über eine Stunde eingesungen, und ihre Stimme ist blendend hell und ganz klar. Anders als der Lagerfeuersänger, der sein vorbeihetzendes Publikum mit Ed Sheeran catchen will, hat Martyn für ihre erste Audition beim Wettbewerb „Neue Stimmen“ nicht den größten Arienhit ausgewählt, sondern mit „Glitter and Be Gay“ ein verspieltes Bernstein-Stück.



Estíbaliz Martyn

„Ich glaube, es ist wichtig, heute aus der Masse der Sänger herauszustechen. Denn gut sind hier wirklich alle“, erzählt die zielstrebig wirkende junge Sängerin. „Deshalb wollte ich dieses Stück singen, da kann ich lyrisch, kraftvoll und rotzig singen, sprechen und meine Schauspielkünste zeigen.“ Dass sie die Bühne liebt, dringt ihr aus jeder Pore, und als Martyn davon erzählt, dass sie bereit ist, für diese Glücksmomente auch andere Dinge in ihrem Leben zu opfern, glaubt man ihr aufs Wort.

Hier, beim internationalen Gesangswettbewerb in Gütersloh, hat sie noch 41 Konkurrenten aus 24 Nationen. So viele haben die Scoutings auf allen Kontinenten der Welt überstanden und sind von gut 1500 Bewerbern übrig geblieben. Brian Dickie ist Leiter dieser Vorauswahlen gewesen und lacht, wenn man ihn nach diesem Traumjob fragt, um die Welt zu jetten und junge Talente zu entdecken. Das sei „hard work“, für Sightseeing gäbe es keine Zeit, erklärt der ehemalige Direktor der Oper in Chicago. Die ganze Konzentration liege auf dieser Aufgabe: das Sieb für junge Gesangstalente zu sein.
Ein paar Monate später erlebt Dickie seine Auswahl dann wieder, in Westfalen in einer Stadthalle. „Meist viel besser vorbereitet, auch irgendwie gereift. Hier gewinnt, wer am härtesten an sich arbeitet, und das wissen alle“.

Wer die 15.000 Euro Preisgeld – und eine gute Chance auf Engagements an Europas großen Opernhäusern – erhält, entscheiden hier Männer und Frauen, die direkt dafür verantwotlich sind. Intendanten u.a. aus Wien, Amsterdam und Düsseldorf sitzen in der Jury, Agenten im Publikum. In den Auditions in den ersten Tagen des Wettbewerbs gibt jeder Sänger mit einer selbstgewählten Arie die Visitenkarte und damit den wichtigen ersten Eindruck ab, dann entscheidet die Jury, welche der fünf vorbereiteten Stücke gesungen werden sollen. Es gibt hölzerne Begrüßungen und Auftritte in diesen Tagen, schiefe Töne, die den Saal hörbar angespannt einatmen lassen, aber auch unglaublich intensive Momente und spannende Darbietungen. Besonders fällt auf, wie überzeugend und leidenschaftlich sich die jungen Sänger in ihre Rollen werfen und diese verkörpern. „Das Schauspielen ist ein wichtiger Aspekt in unserer Bewertung. Man sieht recht schnell, wer, obwohl er gut singt, auf der Bühne langweilig ist“, so Dickie und zieht sich mit den anderen in den Beratungsraum zurück, um den besten Kompromiss zu finden. Die Jury unter dem Vorsitz von Dominique Meyer, Direktor der Wiener Staatsoper, wirkt an diesem ersten Tag recht zufrieden. Dickies Scouting-Reisen sind wieder einmal belohnt worden.

„Ich rate übrigens auch den jungen Sängern immer, viel zu reisen. Sie sollen versuchen, eine zeit lang in Italien, in Frankreich zu leben und zu studieren. Nur so kann man den Geist verstehen, aus dem diese wunderschönen Arien kommen. Alles andere ist Nachahmen, das merkt man einfach.“

Brian Dickie

Ein Rat, den Estíbaliz Martyn bereits beherzigt hat. In Spanien geboren, hat die professionell auftretende junge Dame bereits in England und auch in Weimar studiert. Demnächst steht ein Projekt mit Riccardo Muti in Italien an. Seit ihrem vierten Lebensjahr spielt sie Klavier, die Familie ist sehr musikaffin, die Schwester Pianistin.

Martin Mkhize

Schüchterner, fast verhalten trottet Martin Mkhize zum Interview. Er ist fünf Jahre älter als Estíbaliz Martyn, und ihre Kindheitserfahrungen mit Musik sind ganz unterschiedlich. Erst mit 15 hat der in einem Township geborene Südafrikaner seine ersten Klassikerfahrungen mit einer Best-Of Pavarotti gemacht und dann Buchhaltung studiert. Seine Leidenschaft setzte sich gegen die Zweifel in der Familie durch. Mittlerweile tourt er mit der Cape Town Opera durch Städte in Europa, sein Ziel ist es, auch hier zu studieren. Jede Minute hier beim Wettbewerb sei für ihn wichtiges Lernen.
„Ich will meinen Namen ins Gespräch bringen, die Betriebsprofis treffen und sehen, was ich im Vergleich noch brauche“, sagt er zurückhaltend. „Ein Freund hat mich auf die Audition in Preatoria aufmerksam gemacht. Ich dachte nicht, dass das was wird, und jetzt bin ich hier.“ Seine bisherige Leistung schätzt Mkhize ziemlich kritisch ein. Im Jurywunsch, aus Verdis „Maskenball“, brach ihm beim Schlusston die Stimme. Zu sehr habe ihn der Klimawechsel beeinflusst, meint er.

Beruhigen kann ihn da das Statement des Juryvorsitzenden Meyer: Die Wahrheit eines Tages sei nicht die des nächsten. „Wir kreieren hier keine neuen Sänger“, fasst der Kulturmanager zusammen. „Die Opernwelt hat hier die Möglichkeit, die besten neuen Stimmen zu entdecken. Und ich habe in Wien übrigens schon Sänger engagiert, die gar nicht in die Finalrunde kamen."

Dominique Meyer über die Situation junger Sänger

Im tristen Vorraum der Gütersloher Stadthalle sieht man den jungen Nachwuchskünstlern an, dass sie sich in diesem Wettbewerb ernst genommen fühlen: Es gibt Coaching-Seminare zwischen den Auftritten, auch die ausgeschiedenen Teilnehmer bekommen ein Karriereplanungs-Seminar. Manche, wie Martyn haben ihr Ziel fest im Blick, andere scheinen entspannter: „Ich glaube ich bin keiner dieser stereotypen Sängern!“, sagt Mkhize. „Nicht engstirnig meine ich. Ich kann gerade so viele Opern sehen und soviel Musik erst entdecken. Da spielt man plötzlich mit dem Gedanken, auch mal zu Dirigieren oder selbst kreativ zu sein.“
Und obwohl alle jungen Talente duch die Bank die familiäre Atmosphäre beschwören, sind sie immer sichtbar: die Angespannten, Einzelgänger und die Launischen. Letztendlich ist ein Wettbewerb immer noch ein Wettstreit. Auch wenn das Haifischbecken hier in Gütersloh vergleichsweise friedlich wirkt.

Über den Wettbewerb

Seit 1987 richtet die Bertelsmann Stiftung den Gesangswettbewerb in Gütersloh aus. Unter den erfolgreichen Teilnehmern waren u.a. René Pape und Franco Fagioli.

Seit 2013 wird jeweils ein erster, zweiter und dritter Platz an Männer und Frauen vergeben. Die Preisgelder betragen 15.000, 10.000 und 5000 Euro.
In den letzten Finalrunden werden die Sänger von den Duisburger Philharmonikern begleitet.

16 Sänger haben es schließlich ins Semifinale am Donnerstag (12.10.) geschafft. Martin Mkhize ist einer von ihnen, während Estíbaliz Martyn ausgeschieden ist. Ins Finale schaffte es Mkhize dann aber doch nicht. Das Singen der letzten Zehn kann am Samstagabend (14.10) im Livestream auf dem YouTube-Kanal der Bertelsmann Stiftung verfolgt werden.

© Besim Mazhiqi


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