Von Christopher Warmuth, 08.04.2016

Spukhaftes Intermezzo

Das muss man sich merken: Das Berlin Piano Quartet hat sich aus den Reihen der Berliner Philharmoniker zusammengerauft. Die erste Einspielung von Brahms, Fauré und Schnittke macht klar, dass es sich nicht nur beim Repertoire um Raritäten handelt.

Wie unverschämt ist das! Das Repertoire für ein Klavierquartett ist im Vergleich zu anderen kammermusikalischen Gattungen winzig. Unverständlich, dass so viele Großmeister der Musikgeschichte wenig dafür komponierten, ergänzt es doch ein Streichtrio mit der Vielseitigkeit des Klaviers und kann so zwischen Orchesterwucht und intimen Klängen sprinten. Beim Anfang von Gabriel Faurés Klavierquartett Nr. 1 in c-Moll moussiert die Klangdichte über, die Streicher scheuern mit unzähligen Klangfarben bunte Schlieren, das Klavier träufelt Akkordfolgen dazu. Erst wird man eingehüllt, um dann hin- und hergeworfen zu werden. Das Stück ist mit Kontrasten gespickt, die sich verzahnen. Das serenadenartige Scherzo lässt Streicher zu Gitarren mutieren, und das perlende Klavierspiel mimt den Teppich. Entspannung? Nichts da! Die Musiker stürmen und drängen durch die halbstündige Minisinfonie, dabei regiert die Individualität.



Alfred Schnittke hat versagt. Sein Klavierquartett in a-Moll kondensiert den gescheiterten Versuch, im Stile Mahlers zu komponieren, er wollte ein unvollendetes Werk von ihm zu Ende bringen. Geglückt ist das nicht, alles was er da skizzierte und konstruierte, verwurstet er zum Klavierquartett. Ein gestrichenes 6/8-Tongeschaukel in g-Moll wird vom Klavier wie Kaugummi in die Länge gezogen, die Dissonanzen rieseln hinein. In den folgenden sieben Minuten beweist das Ensemble, was es kann: kreischende Glissandi, hämmernde Cluster und den spätromantisch-schwelgenden Mahlerstil mit ergänztem Schlussakkord von Schnittke. Fabelhaft!

„Das ist das Erbe Beethovens!“ Josef Hellmesberger, 1862

Diese Würdigung vom Geiger Josef Hellmesberger aus dem Jahr 1862 über das erste von vier Klavierquartetten Brahms´ katapultierte den Komponisten weiter nach vorn. Gerade in dieser Zeit, als Beethoven schon auf den Sockel gehoben war, kämpften und haderten alle mit sich selbst, denn: Was soll nach dem großen Beethoven noch kommen? Ein weiteres B: Brahms. Bis heute ist man sich uneins, was im ersten Satz genau passiert, die Grenzen zwischen den Themen verschwimmen, Brahms bricht die üblichen Themeneinsätze auf, deutet manches nur an. Diese Unübersichtlichkeit packen die vier Musiker – ohne Antworten geben zu wollen – am Schopf . Sie nehmen uns an die Hand und geben Stützen im Chaos der Form. Nach dem spukhaft raunenden Intermezzo und dem hymnischen Andante gipfelt die Debütplatte in einem trippelnden Rondo. Das neue Ensemble braucht neben dem Orchester-Drill der Berliner Philharmoniker vermutlich ein Hobby, bei dem sie sich austoben können. Das ist ein Segen.


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Gabriel Fauré, Alfred Schnittke, Johannes Brahms

Piano Quartets

Christophe Horák, Micha Afkham, Bruno Delepelaire, Kim Barbier

Sony Music



© Felix Broede


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