Von Christopher Warmuth, 16.04.2017

Nähkästchen der Lügenpresse

Mit dem Populistenbegriff „Lügenpresse“ wird unabhängigen Journalisten systemtreue Beugung der Fakten unterstellt – absurd. Von Musikjournalisten wird das hingegen offener eingefordert, vermeintlich im Dienst am Guten, Wahren, Schönen. Stichwort: „Interviewfreigabe“.

Das, wofür man im wirtschaftspolitischen Journalismus gefeiert wird und was bei den Journalist*innen für Bauchkribbeln sorgt, ist der Partycrasher des Musikjournalismus: die Interviewfreigabe.

Meistens wird kurz vor einem bevorstehenden Interview liebevoll über mich gespottet: „Na, warten wir mal ab, wie lange die Freigabe diesmal dauern wird“, oder „Christopher, sei bitte einfach zahm“. Warum sich die Differenzen bei der sogenannten inhaltlichen Freigabe bei mir häufen, werde ich im Folgenden erläutern.
In den Pressestellen von Kulturbetrieben hat sich ein weit verbreitetes Missverständnis festgefressen. Da werden Freigaben mit Überarbeitungen verwechselt, mit Hinzufügungen, Streichungen und Ergänzungen. Eigentlich wäre der Sachverhalt kinderleicht:

Journalist A tappelt zur Interviewperson B. A stellt Fragen. B antwortet. A publiziert.

Entdscheidend ist, was zwischen dem Ende eines Gesprächs und der Publikation mit dem Text passiert. Das kommt auf das gewählte Medium an: Bei Videointerviews ist es glasklar, weil das Gesagte nicht im Nachhinein verändert werden kann. Jeder Schnitt ist sichtbar. Bei Radiointerviews hört man die Schnitte, jedenfalls meistens. Auch hier kann die Bedeutung schlecht verdreht werden, höchstens aus dem Kontext gerissen werden. Ganz unten in der journalistischen Nahrungskette kauern die Print- oder Onlinepublizisten, die von einer Audiodatei den Inhalt in einen Text transferieren müssen. Dabei wird im Handwerk darauf geachtet, dass Ähms und Ähs eliminiert , Umgangssprache in Schriftsprache verwandelt und thematische Sprunghaftigkeiten kompensiert werden. Das alles machen Journalisten für die Leser*innen, die nicht mit einem zähen Lesefluss zu kämpfen haben sollen. Anschließend wird das Interview der Agentur oder dem Künstler direkt geschickt und eine „inhaltliche Freigabe“ erbeten. Das meint: Gebe ich dich richtig wieder? Hast du das inhaltlich so gesagt?

Genau da fängt der Zinnober an. Als junger Musikjournalist wird man häufig in die Schublade „niedlich“ gestopft, gar mit einem Musikvermittler verwechselt, der für eine jüngere Leserschaft der Klassik kämpft, für den Erhalt der Sache. Die stirbt ja angeblich aus. Professionalität wird selten erwartet. Wohlwollen hingegen schon. Die inhaltliche Freigabe wird – deshalb auffallend häufig im Kulturbetrieb – als der eigentliche Prozess der Texterstellung missverstanden, als hätte man wie ein Sekretär nur eine Textvorlage erstellt, die der Redenschreiber nun beliebig verändert, um seine Botschaft breitest möglich unterzubringen. Streichungen, Ergänzungen und Veränderungen eingeschlossen. Allenthalben freuen sich Künstler zwar vor dem Gespräch über angekündigt „kritische“ und „junge, freche, hipstrige“ Fragen. Das täte der Musik mal gut, weil der größte Teil der Musikpublizistik, so heißt es, zu glatt, zu werbesprachlig und zu bauchkraulend ist. Aber was für eine leere Phrase – die dann selbst nicht eingehalten wird, wenn wirklich mal etwas anderes geliefert wird als Stangenware!

Ohne das statistisch festgehalten zu haben, schätze ich, dass bei der Hälfte der Interviewfreigaben Dokumente zurückkamen, die zu über 70 Prozent „rot“ sind, also überarbeitet wurden. Dann fängt eine völlig unnötige Arbeit an, die empfangene „Fassung“ mit dem tatsächlich geführten Interview in Deckung zu bringen, es wird geschaut: Was wurde verändert? Wurde nur umformuliert? Wurde Inhalt gestrichen? Wurden zu viele Argumente hinzugefügt?
Das, was mir da schon alles widerfahren ist, erahnt kein Leser. Regisseure, die vor laufender Kamera Dinge sagten, die nicht verändert werden konnten – wir erinnern: Schnitte sind sichtbar –, die dennoch das Gesagte nicht zulassen wollten, weil sie die Einleitung störte. Das ist ein Eingriff in die journalistische Arbeit, nicht durch eine Freigabe gedeckt, und schon gar nicht durch das hiesige Presserecht. Streichungen übrigens auch nicht, gesagt ist gesagt, unsere Pflicht besteht lediglich bei Streitigkeiten in der direkten Zitation. Häufig gab es auch Interviews, in denen nicht nur zu den gestellten Fragen komplett neue Antworten geschrieben wurden, sondern sogar in die Fragen selbst eingegriffen wurde. Absurd! Als wüsste der Journalist nicht, was er eigentlich gefragt hat. Und dann gibt es noch – und das sind die interessantesten „Fälle“ – die Streichungen. Da werden spitze oder auch nur geistvoll kritische Bemerkungen des Befragten einfach ausradiert. Zwar wird anschließend bekräftigt, dass das tatsächlich so gesagt wurde, was ja durch die Audioaufnahme auch nachweisbar wäre, aber beim Lesen fällt dem Interviewten auf, dass er durch das Gesagte vielleicht doch etwas – direktes Zitat – „angreifbar“ wird.

Warum passiert das so häufig im Kulturbetrieb?

Auch das ist kinderleicht erklärt: Musikkritikern wird diffus unterstellt, dass sie für die gleiche Sache „kämpfen“ wie der Interviewpartner auch, nämlich für das Gute, das Wahre, das Schöne – die Musik. Da schickt es sich nicht, fundamentalkritisch heranzugehen, beispielsweise in Bezug auf die eigene öffentlichen Finanzierungsgrundlage, gegenüber Kollegen oder gegenüber dem Publikum. Auch wenn viele darüber differenziert denken: Beiße nie die Hand, die dich füttert. Und dann das Totschlagargument: Kultur ist doch ständig von Kürzungen bedroht, kritische Fragen zur Sache würden ihr per se nur schaden.
Nein! Wirklich nicht! Da bin ich mir sicher. Wir dürfen die Hörerinnen und Leserinnen nicht für dumm halten. Das sehen viele anscheinend anders, es gipfelt in Aussagen wie „Herr Warmuth, Sie wissen doch, dass in musikjournalistischen Gesprächen andere Regeln und Konventionen herrschen. Wir sprechen doch mit einem höheren Vertrauensvorschuss miteinander“. Eine seltsame Verbrüderung wird da angeboten: Offenbar wird das eigene Unternehmen, Projekt, Album mit der Musik selbst verwechselt, wir ziehen doch da an einem Strang. Kritik ist Nestbeschmutzung. Hm.Tatsächlich? Was würde wohl der Souverän der Gesellschaft dazu meinen, wenn Frauke Petry (AfD) oder Beatrix von Storch (AfD) in einem Interview sagen, dass „auf Flüchtlinge zur Not an der Grenze auch geschossen werden kann“, und sich herausstellt, dass der Journalist diese Aussage danach zurückgenommen hat. „Ach komm Frauke, klar. Das nehmen wir raus. War ja auch nicht so gemeint, Vertrauen und so“. Es braucht den gleichen Maßstab, denselben professionellen Anspruch auch in der Kultur.
Denn ja – wir kämpfen alle für die gleiche Sache. Aber was ist die Sache? Die diskursive Auseinandersetzung durch ästhetische Mittel mit Gesellschaft, mit seinem Selbst und mit der Vergangenheit. Dafür kämpfen wir. Hoffentlich alle. Für nichts anderes.


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