Von Anna Lang, 27.01.2017

Jubelrufe zum Jahrestag

Auch 2017 gibt’s ordentlich was zu feiern: den runden Jahrestag unzähliger Komponisten. Glückwunsch! Die Programmhefte strotzen vor Jubelrufen, die Labels hauen Compilations heraus und Dokus würdigen die großen Meister.

Es ist eine illustre Runde: Der Böhme Johann Stamitz wird 300 Jahre alt, Georg Philipp Telemann hat 250. Todestag und sogar Martin Luther, der selbst gar kein Jubiläum feiert, sondern dessen Thesen, hat es mit einer Sammlung aller seiner 35 Lieder in die Top 20 der Klassik-Charts geschafft. 2017 ist aber vor allem ein Claudio-Monteverdi-Jahr. Der Komponist feiert seinen 450. Geburtstag. Auf den Klassik-Festivals hierzulande kommt man an ihm kaum vorbei.
Interessant wird es, wenn nicht nur Stücke des Komponisten auf dem Programm stehen, sondern neue Werke geschaffen werden, wie bei den Schwetzinger SWR Festspielen. Auch dort steht Monteverdi im Mittelpunkt, den Auftakt Ende April macht eine Uraufführung: „Tre volti – Drei Blicke auf Liebe und Krieg“. Das Musiktheater beruht auf Claudio Monteverdis Madrigal „Il combattimento di Tancredi e Clorinda“, neue Kompositionen dazu hat Annette Schlünz geschrieben. Wer Neue und Alte Musik gleichermaßen liebt, wird hier als voll auf seine Kosten kommen. Monteverdi in den Mittelpunkt zu stellen, war laut der künstlerischen Leiterin des Festivals Heike Hoffmann nicht von Anfang an geplant. Fest stand zunächst nur die Uraufführung. „Erst im Zuge des Programm-Machens ist mir klar geworden, dass es auch noch das Jubiläum gibt und dass sich das sehr gut fügt“, erzählt sie.

Im Programm der Schwetzinger SWR Festspiele taucht auch der Jubilar Johann Stamitz mit einem Konzert der Schwetzinger Hofmusik-Akademie zum Thema „Migration“ auf. Ansonsten findet man zwar auch einige ungeläufige Komponisten, aber man sucht vergeblich nach einem unbekannteren, dessen Jahrestag verkündet wird. Ähnlich sieht es bei vielen anderen Festival- oder Konzert-Programmen in diesem Jahr aus. Es ist wie im echten Leben: Da ist man auch nur auf die Geburtstage der eigenen Freunde eingeladen. Und die kennt man gut. Meistens lernt man dabei aber neue Leute kennen! Das kann auch auf einer Monteverdi-Party gelingen: Auf dem Jubiläumsalbum „The Mirror Of Claudio Monteverdi" setzt das Huelgas Ensemble zwischen die fünf Teile der „Messa in illo tempore“ vier weltliche Madrigale unbekannterer italienischer Komponisten:



„Jubiläen können per se kein Grund sein, das Werk eines Komponisten in den Mittelpunkt zu stellen, wohl aber ein Anlass.“

Heike Hoffmann, künstlerische Leiterin der Schwetzinger SWR Festspiele

Für Hoffmann habe sich der Monteverdi-Schwerpunkt der Schwetzinger SWR Festspiele logisch aus der Uraufführung und dem Jubiläumsjahr ergeben, denn grundsätzlich findet sie, „dass Jubiläen per se kein Grund sein können, das Werk eines Komponisten in den Mittelpunkt zu stellen, wohl aber ein Anlass.“ Viel wichtiger sei die künstlerische Relevanz. Klingt logisch, nur sind alle unbekannten Komponisten so uninteressant, dass sie deshalb nicht gespielt werden? Wohl kaum. Ja, das Publikum erwartet die großen Hits der großen Meister. Gespielt werden die aber durchgehend, in jedem Jahr. Ein Jubiläum könnte Anlass sein, unbekannte Komponisten ins Programm zu nehmen, die sonst immerzu im Schatten der Großen stehen. Wie wär’s, wenn wir dieses Jahr dem Dänen Niels Wilhelm Gade zum 200. Geburtstag, dem Bach-Schüler Rudolf Straube zum 300. oder dem Franzosen Étienne-Nicolas Méhul zum 200. Todestag gedenken würden? Wer nicht bekannt ist, wird oft aber auch nicht gehört. So berichtet Martin Stastnik vom Label Oehms Classics von einer Edition der Gesamt-Orgel-Werke Max Regers, die anlässlich seines 100. Todestages im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde: „Auf den Umsatz hat sich das nicht sonderlich ausgewirkt, was aber auch am leider unterschätzten Komponisten liegt.“ Vielleicht aber auch daran, dass sein Label im vergangenen Jahr bei Weitem nicht das einzige war, das eine Gesamteinspielung der Regerschen Orgelwerke herausbrachte. Deshalb sollte man sich bestenfalls kontinuierlich und nicht alle geballt auf einmal mit Komponisten beschäftigen, auch wenn Jubiläen gut sind, um erst einmal Aufmerksamkeit zu generieren.

Wozu sind all die Schwerpunkte, CD-Sonderausgaben und Gedenkfeiern gut, wenn die Werke des Komponisten spätestens nach dem Jubiläumsjahr allen zu den Ohren heraushängen und der Jubilar wieder in Vergessenheit gerät, klammheimlich in die Versenkung verschwinden muss? Und falls er das nicht tut, dann muss er in der Liga eines Ludwig van Beethoven mitspielen, der übrigens 2020 opulent beglückwünscht werden soll und dennoch bis dahin nicht ohne Beachtung auskommen muss. In den Plattenregalen und Konzertprogrammen steht Beethoven dann sicherlich noch höher im Kurs, als es sowieso schon der Fall ist. Wer berühmt ist, hat viele Freunde.

2016 hatte der Komponist Max Reger seinen 100. Todestag. Der wurde deutschlandweit gefeiert. Wie es ist, zum Jubiläum Publikum für einen schwer zugänglichen Komponisten zu finden, erzählt die Leiterin des Karlsruher Max-Reger-Instituts Susanne Popp:

niusic: Welche Rolle spielte das Jubiläumsjahr 2016 für Ihr Institut, das sich ohnehin ständig mit dem Komponisten beschäftigt?

Susanne Popp: Ich glaube, das Reger-Institut hat schon sehr viel dazu beigetragen, dass er nicht vergessen wird. Das war die Aufgabe bei der Gründung, und unsere wichtigste Aufgabe ist ja die Wissenschaft, die Forschung. Als ich studierte und dann anfing im Reger-Institut, hatte ich in meinem Studium über Reger nicht ein Wort gehört. Bei einem Jubiläum ist das Interesse einfach sehr viel größer. Und man hat mehr Chancen, wirklich was zu bewegen. Wir wurden zum Beispiel sehr viel als wissenschaftliche Begleitung angefragt.

niusic: An wen richteten sich die insgesamt 64 Veranstaltungen in Karlsruhe?

Susanne Popp: Wir bemühen uns natürlich auch immer darum, Reger allgemeinverständlich zu machen. Aber er ist ja ein so komplizierter Komponist, dass er wahrscheinlich nie zu einem Massenkomponisten wird. Also das haben wir längst aufgegeben, diese Vorstellung, dass jeder seinen Reger vor sich hin trällert, so weit kann’s nicht kommen. Aber mit ein bisschen Vorbereitung, Einführungsvorträgen und so, erreicht man das Publikum eigentlich immer. Hier in Karlsruhe gibt’s natürlich viele Bildungsbürger, die wollen auch was lernen. Und wir bemühen uns auch, dadurch, dass wir dann immer mal wieder an neuen Orten Konzerte veranstalten, neues Publikum zu kriegen. Aber wir haben inzwischen ein Publikum, auf das man sich verlassen kann.

niusic: Konnte das Institut im Jubiläumsjahr nachhaltig den Bekanntheitsgrad von Max Reger steigern und Menschen für ihn begeistern?

Susanne Popp: Das denke ich schon. Der stete Tropfen höhlt den Stein. Besonders schön war die Zusammenarbeit mit den Musikhochschulen. Das ist so eine Art Schneeballsystem: Die Studenten, die dann ihren schweren Reger extra für ein Konzert einstudieren, die spielen den dann auch später weiter, hoffen wir. Es gab, glaube ich, sieben Gesamteinspielungen von Regers Orgelwerken, nur für dieses Jahr. Das wünscht man sich im Grunde auch lieber ein bisschen verteilter. Ich habe jetzt ein bisschen Sorge in diesem Jahr: Anstatt dass es jetzt so weiter geht, dass sich alle Leute so schön an Reger gewöhnt haben und sagen: „Oh ja, den spielen wir weiter, den hören wir weiter“, dass jetzt die Veranstalter kommen und sagen: „Och nee, nicht schon wieder Reger, den hatten wir.“ Es kann jetzt durchaus sein, dass das Pendel zurückschlägt, und das wäre natürlich sehr schade.




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