Von Christopher Warmuth, 18.12.2016

Restdeutscher Wundfunk

Bei WDR3 hat es in den letzten Wochen sehr geweihnachtet. Da wurde Daniel Hope im Gewinnspiel „WDR3nachten“ versteigert. Man konnte sich bewerben um mit ihm gemeinsam zu musizieren. Ein gutes Geschenk?

Bullshit-Bingo in der Programmkonferenz einer Kulturwelle: Publikumspartizipation, Verjüngung, Social-Media und „dieses Internet“.

Zugegeben – „Restdeutscher Wundfunk“ ist ein fiktiver Buchstabendreher. Niemand, wirklich niemand, würde auf die Idee kommen, inhaltliche Parallelen zu ziehen. Der Titel „WDR3nachten“ hingegen ist leider keine Spielerei. Das ist ernst gemeint. Das hat sich besagte Wundfunkanstalt nämlich erdacht. Es soll witzig klingen, eine hippe, fetzige und semantische Anlehnung an Weihnachten sein, die in den Sozialen Netzwerken des ehrwürdigen Senders abgehen soll wie eine hochkulturelle Rakete. Es geht um Publikumspartizipation, Verjüngung, Social-Media und „dieses Internet“.

Zurück zu „WDR3nachten“: Mittlerweile lässt sich nicht mehr mit absoluter Gewissheit sagen, welchen Beruf der Hauptverantwortliche Haniel Dope gerade auf seiner Visitenkarte stehen hat. Buchautor? Moderator? Künstlerischer Direktor? Produzent? Oder gar Musiker? Bei „WDR3nachten“ (es wird nicht besser, wenn man es häufiger liest) kurbelt der Stargeiger die Werbetrommel an. Er ist das bekannteste Pferd im Stall und versteigert sich selbst. „Machen Sie sich Ihr aufregendstes Weihnachtsgeschenk einfach selbst. Spielen Sie mit Stargeiger Daniel Hope im Ensemble – nicht irgendwo, sondern in der Kirche Sankt Mariä Himmelfahrt in Köln“, steht auf der Website des WDR. In einem Video erklärt er im pädagogisch-volksnahen Duktus das Konzept. Ein Daniel-Hope-Ensemble. Manche Dinge möchte ich nicht einmal geschenkt haben



Er freut sich drauf. Das ist doch wirklich toll. Das Video wurde 57 Mal geteilt und über zwanzigtausend Menschen haben sich den Clip angesehen. Das Konzert am 12. Dezember war ein voller Erfolg. Und tatsächlich, das Ergebnis lässt sich hören, gegen die Bewerbungen ist nichts einzuwenden. Viele Menschen haben sich angesprochen gefühlt, sogar teilweise angefangen extra ein Instrument zu erlernen.

„WDR3nachten“ ist ein Symptom, ein Schritt zum Dudelfunk. Man kredenzt dem Zuhörer nur das, was er will – er mutiert selbst zum Programmmacher.

Nur, wie so häufig, ist auch hier bereits der Weg das Ziel. Weihnachten ist ein Event, das zur Partizipation einlädt. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner. „WDR3nachten“ fördert nur ein generelles Problem des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks zu Tage: Quotenoptimierung durch direkte Teilhabe. Andere Rundfunkanstalten machen es schon seit längerem vor. NDR Kultur wird landläufig als „Dudelfunk“ bezeichnet, auch WDR-Kollegen äußerten in der Vergangenheit Kritik an der norddeutschen Entwicklung zur Häppchenkultur. Bei WDR3 verläuft der Prozess dorthin schleichend, aber er existiert schon längst. „WDR3nachten“ ist hier lediglich ein Symptom.

NDR Kultur verzichtet dieser Tage zwar noch auf eine ebenbürtige Weihnachtseventkultur. Doch am 24. Dezember setzt man sich auch da wieder beim Hörer auf den Schoß: Der Sender spielt das, was die Zuhörer vorschlagen. Und spätestens hier lässt sich auch wieder die Parallele zu WDR3 ziehen. Die Sendung „Lieblingsstücke“ läuft seit Kurzem sonntags von 9-12 Uhr. Zuhörer senden wöchentlich und während der Sendung ihre Lieblingsstücke ein in der Hoffnung, dass sie gespielt werden. Das Konzept leuchtet ein: Sie öffnen ihr Herz und lassen andere Zuhörer teilhaben. Auf Seiten der Programmmacher verbirgt sich dahinter aber: Lassen wir doch einfach den Hörer entscheiden, was er hören will. Vielleicht werden wir dann mehr gehört. Das ist nah am Hörer, vielleicht gefährlich nah. Man kann vermuten, dass es unter den vielen Einsendungen einen festen Kanon gibt, der dem klassisch-romantischen Kernrepertoire entspricht. Sicherlich wird der Pachelbel-Kanon häufiger vorgeschlagen als „Quatuor pour la fin du temps“ von Olivier Messiaen.

Natürlich sagt die Bekanntheit und Beliebtheit nichts über die Qualitäten eines Stückes aus. Auch andere Hörer werden Stücke empfehlen, die ich nicht kenne und die mich anschließend fesseln. Nur sehe ich die Notwendigkeit nicht, diese Verantwortung auf andere Hörer abzuwälzen. Ich traue der WDR3-Musikredaktion zu, dass sie mir mit musikjournalistischem Fachverstand Stücke vorschlägt, die mit geringerer Zufallsquote Treffer leisten. Vielleicht ist das jetzt ja ganz altmodisch und nicht zeitgemäß: Ich wünsche mir ein Öffentlich-Rechtliches Programm, dass mich nicht da abholt, wo ich gerade zufällig an der Ampel herumstehe. Pachelbel kennt doch jedes Kind vom Hören, es braucht nicht daran erinnert zu werden. Entlegenere, gute Musik würde Recherche benötigen, sie fällt mir nicht so einfach in den CD-Player. Das wäre mal ein Service! Aber vielleicht ist das ja bald die Marktlücke.

© WDR


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