Von Malte Hemmerich, 20.11.2016

Minimal begeistert

Ist Musik, die ganz alltäglich klingt, fürs Konzert geeignet? Malte Hemmerich hat Philip Glass halbprivat getroffen und gehört. Bisher ist er zu seiner Musik oft eingeschlafen.

Zugegeben – ich mag „Minimal Music“ sehr gern. Beim Autofahren, Aufräumen und besonders gern zum Einschlafen höre ich immer wieder mal ein Stück von Steve Reich oder ein Violinkonzert von Philip Glass.
Doch zu mehr als zu Hintergrund- und Gebrauchsberieselung hat es diese Musik in meinem Repertoire bisher nicht gebracht. Dabei kann sie, da bin ich sicher, mehr als das sein, löste ein Reich-Stück in Köln ja erst in diesem Jahr einen Skandal aus. Damals hatten Konzertbesucher den Cembalisten Mahan Esfahani unterbrochen, weil ihnen das Stück zu radikal langweilig war. Desweiteren zählt die Minimal Music auch immer noch zur E-Musik, die bitteschön bewusst und konzentriert gehört werden soll, und dann ebenso wertvoll ist wie ein Schönberg-Klavierstück.

Als ich nun in der letzten Woche eine Einladung zu einem halbprivaten Klavierrezital mit dem größten Minimalisten schlechthin, Philip Glass, bekam, der extra für dieses Treffen mit einer verschworenen Gemeinschaft eingeflogen wurde, waren Vorfreude und Erwartungen groß. Denn wo kann man Macht und Sinn einer Musik erleben, wenn nicht im persönlichen Konzert vom Komponisten selbst?
Und so kam es, dass ich an einem Samstagvormittag mit mehreren Studienkollegen auf einem unbequemen Stuhl in einer entweihten Kirche in Köln-Hürth saß und mir eine Stunde lang gleichklingende Klaviermusik anhörte. Glass-Kritiker oder auch manche Laien würden sagen, dasselbe Stück in unterschiedlichen Tonarten.
Die schicken Halbprivatkonzertbesucher schienen sich ihr Mittagsevent davon nicht kaputt machen lassen zu wollen. Einige schlossen versonnen die Augen, mehrere zückten hingegen ihre iPhones und filmten ganze Tiraden des ständig Gleichen. Wohl in der Absicht, damit beim Kaffee später ihre weniger exklusive Verwandtschaft malträtieren zu wollen.



Minimal-Fetischisten predigen das „aufmerksame Hören auf kleinste Veränderungen im gleichbleibenden Ablauf", damit versuchte ich es also ernsthaft.
Und ich muss zugeben, dass sich Glass´ Interpretation mit einigen falschen Tönen und interessanten Tempoverzerrungen auch von den mir bekannten Aufnahmen seiner Stücke unterschied. Trotzdem schweiften meine Gedanken bald ab, wurden gar ketzerisch: „Das wäre mir als 17-jährig Klaviererfahrenem auch eingefallen, ist das nicht immer dasselbe Intervall? Schon wieder diese billige Harmonieabfolge!“
So etwas dachte ich während eines Haydn-Streichquartetts, dem ja zuweilen auch eine klassische Uninspiriertheit vorgeworfen wird, noch nie.

„Ob seiner Gleichtönigkeit, der Voraussehbarkeit oder der fehlenden Fluchtmöglichkeiten – wir sind zur Auseinandersetzung damit gezwungen.“

Der Mehrwehrt einer Liveaufführung dieser Musik erschloss sich mir auf einmal. Minimal Music entfaltet erst im Nachhinein eine wirkliche Kraft, wenn nämlich darüber gesprochen wird. Ob seiner Gleichtönigkeit, der Voraussehbarkeit oder der fehlenden Fluchtmöglichkeiten – wir sind zur Auseinandersetzung damit gezwungen. So unterschiedlich reagiert ein Konzertpublikum selten auf Musik, das zeigt allein unsere kleine Gruppe: Vollkommen eingetaucht, schockgelangweilt, irritiert oder sogar ziemlich genervt. Diese Musik beleidigt und betrifft uns. Und mit uns sind hier wirklich einmal alle gemeint: Musiknerds, Unerfahrene, die Personen auf der Straße genau so sehr wie die im Konzert. Die Musik klingt direkt allgemeinverständlich, bis dann jeder feststellt, dass sie sich auf so unterschiedliche Weise mitteilt – oder eben auch nicht. So ist Glass dann wirklich ein Radikaler.

Das Hürth-Konzert zum Nachhören



© philipglass.com


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